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Kultur: Wuchernde Welt

Der irische Künstler Willy Doherty zeigt neue Video- und Fotoarbeiten in der Galerie Nordenhake

Vielleicht liegt es daran, dass keine Menschen auf diesen Bildern sind: Obwohl sich Belfast kaputt und zerfallen zeigt, scheint alles in einer seltsam bedrückenden Harmonie aufzugehen. Niemand wandert zwischen den zerstörten Mauern und Stacheldrähten umher, niemand unter den dräuenden Wolken und dem zerschossenen Union Jack. Keiner, der auf den matschigen Bolzplätzen spielt oder auch nur – passend zum Stadtbild – herumlungert. Die einzigen Lebenszeichen sind Graffities auf den roten Backsteinmauern. Doch diese Botschaften sind hohle Parolen oder amtliche Verbote. Ein Trost, wenn zwei Mädchennamen unschuldig auf eine Mauer gekritzelt sind.

Die 40 Farbfotografien (Fünfergruppen zu je 14 000 Euro), die der nordirische Foto- und Videokünstler Willie Doherty in der Galerie Nordenhake unter dem Titel „Apparatus“ ausstellt, wirken wie das Set zu einem Post-Apokalypse-Film. Tatsächlich aber dokumentiert der 1959 geborene Doherty, der als Zwölfjähriger den Bloody Sunday miterlebte, die Verhältnisse in seinem Heimatland und beobachtet, wie sie sich in der Stadtlandschaft abzeichnen.

Auf den ersten Blick scheint es, als wolle er allein Fakten sprechen lassen: Seht auf die Ruinen der Auseinandersetzungen, und ihr seht den Nordirlandkonflikt! Erst beim genaueren Hinsehen wird deutlich, wie malerisch Doherty seine Schuttlandschaften inszeniert. Man denkt vielleicht an Krisenfotografen wie James Nachtwey oder Luc Delahaye. Doch im Gegensatz zu ihnen sucht Doherty nicht das Sensationelle, nicht das Panorama, sondern das Detail, das Beiläufige, das auf Wesentliches verweist. Wie schon bei früheren Arbeiten, beispielsweise als er als DAAD-Stipendiat nächtliche Berliner Schauplätze fotografierte, vermag es der Künstler, seine Aufnahmen mit Geheimnissen aufzuladen. In den Bildmittelpunkt rücken Motive, die gar nichts beweisen: verkohltes Holz, Müll am Straßenrand. Doherty spielt mit bedeutungsschweren Perspektiven, etwa wenn er Abbruchhäuser mit zugenagelten Fenstern frontal im diffusen Licht präsentiert – als gäbe es etwas zu ergründen. Er lichtet neu entstandene Sackgassen ab, die nicht preisgeben, wohin sie einmal führten. Mehrmals verschwimmt die zerstörte Stadt hinter Ästen, Blüten, Früchten und Unkraut; der Blick findet Halt an der Natur. Aber das Zuwuchern schafft neue Geheimnisse. Auch bleibt es dem Betrachter überlassen, Rückschlüsse auf die fehlenden Menschen zu ziehen: Wo sind sie jetzt? Warum konnten sie hier nicht miteinander leben? Was hat sich hier abgespielt?

Den Sprung von der desolaten Bausubstanz zum Stadtbewohner macht der zweifache Turner-Preis-Nominierte in seiner Videoinstallation „Closure“ (35 000 Euro), die die Ausstellung ergänzt: Auf einem hoch umzäunten Gelände zieht eine Frau ihre Kreise. Die Kamera folgt ruhig ihrer Endlosschleife. Ab und an rückt das Bild näher – doch die Nahaufnahme des Frauengesichts verrät wie die Häuser auf den Fotos wenig. Aus dem Off ertönen kurze Sätze, die ein abrissreifes Haus beschreiben. Den öden Zustand der Umgebung und des beschriebenen Hauses konterkarieren Ermutigungsparolen wie: „Meine Absichten sind präzise. Meine Geduld ist unendlich.“ Hier gelingt es Doherty, mehr noch als bei den Fotoarbeiten, mit seiner Kunst existentialistisch über Ort und Zeit hinaus zu weisen.

Doch so tröstlich es ist, dass die Gefangene aufbauende Sätze findet: Aus der Endlosschleife kann sie nicht ausbrechen. Und die Welt wuchert weiter zu.

Galerie Nordenhake, Zimmerstraße 88-91, bis 28. Januar; Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr.

Daniel Völzke

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