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:Hohes Eskalationsniveau: April (Maren Eggert) und Frank (Alexander Khuon) schenken sich in ihrer scheiternden Ehe nichts.

© Arno Declair

„Zeiten des Aufruhrs“ am Deutschen Theater: Was sich liebt, das schlägt sich

Jette Steckel inszeniert die Ehetragödie „Zeiten des Aufruhrs“ am Deutschen Theater.

„Okay, er war vielversprechend“, bringt Frank Wheeler das Problem irgendwann im Laufe des Abends auf den Punkt und lässt die Beine von dem angesagten Leuchtbuchstaben herunterbaumeln, auf dem er sitzt.

Natürlich spricht der junge Mann von sich selbst. Beziehungsweise von einem Ego-Potenzial, das ihm schon länger irgendwie abhanden gekommen ist. Der vielversprechende Frank hat sich nämlich in einer Vorstadt-Existenz eingerichtet. Mit einem langweiligen Job, einem mausgrauen Familienleben und einer Ehefrau, die partout nicht aufhören will, ihn an die Ödnis zu erinnern.

Denn April Wheeler ist nicht bereit, den Traum von ihrer Überdurchschnittlichkeit aufzugeben. Und der hängt halt – wir befinden uns in den 50er Jahren – wesentlich an der Überdurchschnittlichkeit ihres Mannes, welche sich leider als Irrtum entpuppt. Aprils Ausbruchsplan, ein Umzug nach Paris, sorgt nur für eine kurze Vitalitätsspritze. Als die Idee begraben wird, ist auch die Ehe tot. Und nicht nur sie.

Richard Yates’ 1961 erschienener Roman „Revolutionary Road“ (auf Deutsch „Zeiten des Aufruhrs“ betitelt) bekam durch Sam Mendes’ Verfilmung mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio vor elf Jahren auch im Theater einen Popularitätsschub. Enrico Lübbe klopfte die Nachkriegsdepression und den Anpassungsdruck der Wheelers unlängst schon mal am Schauspiel Leipzig auf ihre Gegenwartstauglichkeit ab.

Startrampe für archetypische Gefühlsausbrüche

Jetzt zieht Jette Steckel im Deutschen Theater in Berlin nach und inszeniert eine Ehetragödie, die irgendwo zwischen den Fünfzigern und heute mäandert und den Erregungspegel von Edward Albees Beziehungskriegsklassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ anpeilt. Steckel scheint es weniger um die Genauigkeit zu gehen, mit der Yates die Wheeler-Ehe seziert, als um den Bau möglichst steiler Startrampen für archetypisch-dramatische Gefühlsausbrüche.

Maren Eggert als April und Alexander Khuon als Frank steigen auf hohem Eskalationsniveau ein. Der krachende Misserfolg, den April am Romanbeginn als Protagonistin einer Laienspielgruppe landet, wiegt am DT besonders schwer. Während die Hobby-Darsteller bei Yates einfach nur an einer fiktiven Schmonzette namens „Der versteinerte Wald“ scheitern, lässt Steckel im Laienspiel das tatsächliche Ehetragödienfinale der Wheelers vorwegnehmen. April dilettiert sich zum Auftakt also schon mal im unfreiwilligen Slapstick-Modus ans tragische Ende heran.

Logisch, dass da die Nerven umso blanker liegen: Khuons Frank streicht in postperformativer Betretenheit um seine Frau herum, findet erst gar keine Worte und dann ausschließlich die falschen. Woraufhin April zurückdonnert, er solle lieber nichts sagen, was ihm selbstredend nicht gelingt, weshalb das Paar schnell Eskalationsstufe zwei erreicht: Eine handfeste kleine Ehepartnerprügelei, die abrupt in einen Zungenkuss übergeht.

Oberflächen-Szenen einer Ehe

So läuft das den ganzen dreistündigen Abend: Es sind Oberflächen-Szenen einer Ehe, die Eggert und Khuon hier spielen. Das tuen sie zweifellos gut: Sie kurven fast so glückskitschverdächtig auf einem Rasenmäher-Verschnitt herum, als wär’s der Bug der Titanic. Sie zicken und schmollen, schweigen und giften, brüllen und turteln sich wechselweise an wie aus dem ehetherapeutischen Fallbeispielbuch; gern auch vor dem putzigen Nachbarpaar Milly und Shep, das Kathleen Morgeneyer und Christoph Franken ebenfalls mustergültig in die Leuchtbuchstabenlandschaft stellen.

Bühnenbildner Florian Lösche hat das Szenario mit lauter überdimensionalen, beweglichen Lettern gefüllt, die manchmal einfach als Raumteiler fungieren, gern aber auch zu Signal-Vokabular à la „Show“ oder den englischen Personalpronomen „she“, „he“ und „me“ angeordnet werden: sie, er und ich. Das sieht so stylish aus wie in "Schöner wohnen" und illustriert perfekt die gähnende Leere, von der bei Yates immer wieder die Rede ist.

Was allerdings am Roman wirklich wehtut – nämlich die minuziösen, seitenlangen Passagen, die das Ehescheitern in zwingender (Psycho-)Logik für beide Partner herleiten – fällt ersatzlos weg: Ein Problem, das Steckels Inszenierung mit vielen Romanadaptionsabenden teilt.

Konzentration, Genauigkeit und Ruhe

Übrig bleiben dann vor allem Stereotype, mit denen man im speziellen Fall Stereotype offenbar erst recht vorführen will: Hier das miese kleine Gatten-Würstchen mit der armseligen Büro-Affäre, da die Powerfrau, die den Nachbarn selbstbewusst zum Rampen-Quickie besteigt, sich aber zu Hause seltsamerweise an einen Totalschlaffi bindet.

Eine Figur allerdings durchkreuzt alle Stereotype: Ole Lagerpusch hat als vermeintlich geisteskranker, de facto aber einzig wahr sprechender Vollbart-Träger der Vorstadt-Ödnis mindestens den Auftritt seines bisherigen DT-Lebens, wenn nicht mehr: Die Konzentration, Genauigkeit und Ruhe, die durch schmerzhafte Eruptionsenergie-Unterdrückung so sichtlich hart erkauft ist und mit der er den Wheelers auf den Kopf zusagt, was mit ihnen los ist, hätte man sich für den ganzen Abend gewünscht.

Die nächsten Aufführungen sind am 6., 8. und 20. März.

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