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Zufälle sind Humus: Gedichte des Slowenen Tomaž Šalamun
„Steine aus dem Himmel“ ist ein grandioser früher Auftakt zum Slowenien-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 2023.
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Die Jugoslawienkriege Anfang der 1990er Jahre und die dort begangenen Kriegsverbrechen waren auch für den slowenischen Lyriker Tomaž Šalamun (1941 – 2014) folgenreich. Er fiel in eine tiefe Schaffenskrise, aus der er nie wieder herauszufinden glaubte. Als sie dann doch überwunden war und er weiter an seinem Werk arbeitete, das am Ende seines Lebens über 50 Gedichtbände in slowenischer Sprache umfasste, ließ er sich in einem Interview jene Metapher entlocken, die jetzt der Auswahl aus dem Spätwerk des Autors den Titel gibt.
Die Übertragungen von Matthias Göritz, Liza Linde und Monika Rinck erscheinen ein gutes halbes Jahrhundert, nachdem Šalamun mit dem Gedichtband „Ein Stengel Petersilie im Smoking“ erstmalig einem deutschsprachigen Publikum vorgestellt wurde.
Seine Gedichte seien wie Steine vom Himmel gefallen, so Šalamun in besagtem Interview. Die Schönheit der Metapher lenkt ab von dem, was sie vermittelt. Denn Gedichte sind keine Hagelkörner oder Meteoriten, die man einfach vom Boden aufheben und in einen Kunstzusammenhang stellen könnte. Sie sind hart erarbeiteter Text.
Hinter den „Steinen aus dem Himmel“ verbirgt sich neben der Mythisierung von Textentstehung auch der Einfluss des Surrealismus auf den studierten Kunsthistoriker Šalamun, dessen literarische Bezugnahme auf die Kunstform des Ready-made beziehungsweise des Objet trouvé, bei der ein Gegenstand – in der Literatur ist es die Sprache – aus seiner alltäglichen Funktion herausgelöst und zur Kunst gemacht wird. Marcel Duchamp etwa präsentierte ein weißes Urinal um 90 Grad gekippt liegend und nannte das Kunstwerk „Fountain“.
Lauwarme Blitze
In den Gedichten des Auswahlbandes trifft man auf eine Vielzahl von Stellen, wo Šalamun poetische Sprache reflektiert und außerhalb von Kausalität und Interpretierbarkeit ansiedelt. Was poetische Sprache tue, bleibe akzidentiell, schreibt er einmal. Und ein andermal: Sie geschehe „in lauwarmen Blitzen“: „Zufälle / sind Humus. Als würden Tischtennisbälle / aus allen Richtungen kommen und dich massieren.“ Das Beharren auf dem Zufall ist ein Merkmal des Surrealismus.
Šalamuns Poesie ist durchzuckt von (Alb-) Traumhaftem, Unbewusstem, Absurdem und Phantastischem und zeigt sich auch vom russischen Futurismus und dessen Repräsentanten Welimir Chlebnikow tief beeindruckt: „Ich träumte von Chlebnikow. Er hatte die/ feuchte graue Schnauze eines Tiers, das der Dunkelheit/ angehört. Ich sah ihn nicht. Mich erschütterte die Glätte,/ Rundheit und das Grau der Schnauze.“ Der Mitübersetzer Matthias Göritz hat die futuristischen und surrealistischen Züge der Šalamun’schen Gedichte im Sinn, wenn er im Begleitwort auf deren Schnelligkeit und Assoziations- und Anspielungsreichtum hinweist. Damit lösen sie sich von mimetischen Verfahren und richten sich auf die Erkundung des poietischen Möglichkeitsraumes der Sprache aus, so Göritz weiter in literaturwissenschaftlichem Duktus.
Ausgerechnet „Verschmelzung“ heißt denn auch ein Gedicht, das beispielhaft für die surrealistische, Traum und Wirklichkeit vermengende Methode Šalamuns stehen kann: Das lyrische Ich bezeichnet sich als „amalgamiert“, ein nicht näher bestimmtes Gegenüber habe dessen Lunge gekocht, und über 100000 Ameisen sei grüne Salzsäure gegossen worden. Was hier geschieht, ist der Ratio nicht zugänglich, aber ungeheuer eindrucksvoll.
Zwischen künstlichen Feuern
Doch es gibt auch wiederkehrende Themen, Traurigkeit zum Beispiel. In einem Gedicht ist Traurigkeit mit der Staatsangehörigkeit verknüpft: „Du bist Slowene, darum bist du traurig“, heißt es dort. In einem anderen, das sich liest, als sei es aus dem Geiste der Romantik geschrieben worden, macht Traurigkeit das Schreiben erst glaubwürdig: „Welchen Sinn hat es, ohne / Traurigkeit zwischen künstlichen Feuern zu bleiben? / Ich erbreche mich, weil ich keine / Trauer mehr habe.“ Nach der rhetorischen Frage folgt die Feststellung: „Meine Poesie ist längst nicht mehr / glaubwürdig.“
Und Šalamun kommt häufig auf existenzielle Erfahrungen zu sprechen, auf eine einst empfundene, mit Schicksalsgläubigkeit gepaarte Angst, „die Sonne/ würde nie wieder aufgehen“. Gut 80 Seiten später wird dieselbe Angst Teil einer religiösen Motivik, der biblischen Geschichte von Jona und dem Wal: „Wale werden mein Leben// vernichten. Gebe es hin für das, was ich/ erfahren habe. Gebe es hin für das, was ich jetzt erfahre,// als die Sonne wiederkam, ich dachte,/ sie sei erloschen. Ich dachte, ich hätte sie// verloren. Ich bin glücklich, aber der Sturm/ geht nicht vorüber.“
In einem anderen Gedicht zeigt sich Jona verwundert darüber, „noch keinen/ Wal gesehen“ zu haben, nennt den amerikanischen Serienmörder Jeffrey Dahmer – einen Tag nach dessen Ermordung am 28. November 1994, „als er [im Gefängnis] das Klo putzte“ – seinen „Liebling“ und stellt lakonisch fest, dass Gewalt „immer vererbt, nicht geteilt“ werde.
Schwierige Paarbeziehung
Und Metka, immer wieder Metka. Die slowenische Malerin Metka Krašovec (1941 – 2018) war bis zu Šalamuns Tod dessen zweite Ehefrau. Die Gedichte zeugen von einer innigen, aber auch schwierigen Beziehung. In dem Klagebrief „Liebe Metka“ erscheint das kreative Paar als destruktiv und konstruktiv zugleich: „Wie kann es sein, dass meine Liebe dir nicht/ hilft? Ich bin dein Ehemann, dein Geliebter,/ ich war dir Hebamme bei deinen/ Bildern, die Quelle deiner Schmerzen und deiner/ Sehnsüchte, warum gehst du so weit?/ Glaubst du nicht, du gehst/ zu weit?“
Ein Konfliktpunkt der Eheleute war Šalamuns Bisexualität. Unter den Liebes- und Paargedichten des Auswahlbandes – „Unsterblichkeit kommt und geht“ mit dem „paarigen Herz“ –, findet sich auch die Geschichte einer Affäre zwischen einem Professor, „Mensch“ genannt, und einem Studenten, „Undergrad“ genannt, der von jenem ein Empfehlungsschreiben benötigt und um den sich schließlich die „besten Creative-Writing-Programme“ reißen: „Der Undergrad ist nicht mehr Student des Menschen. Der Mensch/ wird nicht bestraft. Sie knutschen rum, die beiden Affen. Zweiundzwanzig// Jahre und sechsundsechzig Jahre, beide jung. Der Mensch stirbt schnell.“
Šalamun hat seit den Siebzigerjahren regelmäßig Lehraufträge an amerikanischen Universitäten angenommen und war später Kulturattaché der slowenischen Botschaft in New York.
„Steine aus dem Himmel“ ist ein monumentales lyrisches Werk und vermittelt eine Vorstellung davon, warum Tomaž Šalamun nicht nur in Slowenien, sondern weltweit Generationen von Schriftsteller*innen beeinflussen konnte und sich auch nach seinem Tod eines breiten Lesepublikums erfreut. Es ist eine der spektakulärsten Lyrikerscheinungen des Jahres 2023 und ein vielversprechender Ausblick auf die kommende Frankfurter Buchmesse, deren Ehrengast Slowenien sein wird.
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