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Zum 100. Geburtstag von Hans Rosenthal: Der Mann hinter dem Spaßmacher
Das ZDF ehrt den jüdischen Moderator mit einem Spielfilm über sein Leben und spart eigene Verfehlungen dabei nicht aus. Etwa als der Sender zum Jahrestag der Reichspogromnacht unbedingt „Dalli Dalli“ senden wollte.
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Dr. Horst Hummel (Hans-Jochen Wagner) lässt sich nicht beirren. Also will der ZDF-Programmdirektor seinen Star Hans Rosenthal bei Königsberger Klopse und schön gekühltem Weißwein vom Sendetermin überzeugen: „Wir sind keine Volkshochschule. Die Leute wollen Spaß haben, nach vorne schauen, nicht immer zurück.“
Der Termin ist der 9. November 1978. An diesem Tag will das ZDF die 75. Ausgabe der Spieleshow „Dalli Dalli“ ausstrahlen, präsentiert von ihrem Erfinder Hans Rosenthal. Der Unterhaltungsprofi ist auf dem Zenit seines Erfolgs: 20 Millionen Zuschauer, 50 Prozent Marktanteil. Diese Werte will das ZDF just am Jubiläumsdatum nicht riskieren.
Hans Rosenthal stürzt dieses mehr als unsensible Beharren seines Arbeitgebers in ein tiefes Dilemma. Geboren am 2. April 1925 in Berlin in einer jüdischen Familie, hat er, anders als sein geliebter älterer Bruder Gert, den Holocaust überlebt, weil ihn zwei mutige Berlinerinnen in einer Laubenkolonie vor den Nazi-Mördern versteckt hatten.
Rosenthals Sendungen laufen bis heute im Radio
Bevor Rosenthal mit „Dalli Dalli“ zu einem Publikumsliebling in der Bundesrepublik wurde, hatte er beim Sender RIAS eine Rate- und Unterhaltungssendung nach der anderen zum Erfolg geführt: „Allein gegen alle“, „Wer fragt, gewinnt“ oder „Das klingende Sonntagsrätsel“. Als „Sonntagsrätsel“ läuft diese Sendung wie auch das Städtequiz „Allein gegen alle“ bis heute bei Deutschlandradio Kultur.
Beim Fernsehen war er da schon engagiert, so mit „Gut gefragt ist halb gewonnen“, aber mit „Dalli Dalli“ stieg er in den Fernseholymp. Er präsentierte die Spiel- und Rateshow für Schnelldenker von 1971 bis 1986, und wahrscheinlich wäre die Sendung ein Dauerbrenner wie „Wer wird Millionär?“ geworden, wenn Hans Rosenthal nicht 1987 mit nur 61 Jahren an Magenkrebs gestorben wäre.
Am 2. April 2025 hätte Hans Rosenthal seinen 100. Geburtstag feiern können. Das ZDF nutzt das Datum zu einem zeitverzögerten besonderen Fernsehabend: Am 7. April läuft der Film „Rosenthal“ und anschließend die Dokumentation „Hans Rosenthal - Zwei Leben in Deutschland“.
Die Fiktion spinnt sich um die „Dalli Dalli“-Sendung vom 9. November 1978 herum. Gernot Krää hat nach einer Idee von Oliver Haffner und in enger Abstimmung mit den Rosenthal-Kindern Gert Rosenthal und Birgit Hoffmann das Drehbuch geschrieben. „Rosenthal“ will aber weit mehr sein als ein freundliches Biopic, es ist ein Zeitbild der ausgehenden 1970er Jahre in der Bundesrepublik und ein Persönlichkeitsbild von Hans Rosenthal.
„Dalli, Dalli“ statt Pogrom-Gedenken
Am 9. November 1978 will die Bundesrepublik zum ersten Mal in einer offiziellen Gedenkveranstaltung mit Bundeskanzler Helmut Schmidt als Redner an die Pogrome vor vierzig Jahren erinnern. Bis dahin hat die sogenannte Aufarbeitung des Holocaust nur ein Stück weit begonnen. „Rosenthal“ zeigt im zeitgeschichtlichen Ambiente – die Ausstattung jener Jahre gelingt der Produktion bis ins Detail –, wie die überwiegende Mehrheit der Bundesdeutschen die NS-Verbrechen mehr verdrängen als sich bewusst machen will. Der ZDF-Programmdirektor Dr. Hummel – Hans-Jochen Wagner gibt ihn als jovialen und wendigen Bonhomme – ist da nicht der Schlimmste, er ist nur einer von vielen.
Hans Rosenthal soll nun ausgerechnet am Tag des 40. Jahrestages der Pogromnacht sein Millionenpublikum unterhalten und ablenken – und sich selbst und seinen Erfolg feiern. Über den Zentralrat der Juden ist er eingeladen, bei dem Gedenken neben Helmut Schmidt zu sitzen. Hans Rosenthal, der seine jüdische Herkunft stets camoufliert hielt, versucht alles, um den Programmdirektor zu überzeugen, den Sendetermin doch noch zu verschieben. Vergeblich. Getreu dem Diktum, das ZDF sei ein Unterhaltungs- und ein Informationssender, werden erst die Veranstaltung in Köln übertragen und am späteren Abend der Holocaust dokumentiert, aber zur Primetime heißt es: „Dalli Dalli“.
Hans Rosenthal, höflich und Auftragnehmer wie immer, fügt sich, obwohl seine Traumata wieder aufgerissen werden. Aber dann, herausgefordert von einer jungen Frau der jüdischen Gemeinde, die den Entertainer als Handlanger der Verdränger sieht, und ermutigt von seiner Ehefrau Traudl (Silke Bodenbender) findet er doch einen, seinen Weg. Hans Rosenthal präsentiert die Jubiläumssendung am 9. November 1978 im schwarzen Anzug. Die ZDF-Unterhaltung trägt an diesem besonderen Abend schwarz. Was für ein Zeichen.

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Der Schritt des ZDF, seinen unrühmlichen Part in der Geschichte der Fernsehunterhaltung zu thematisieren, soll auch, so sagen es die für „Rosenthal“ verantwortlichen Redakteure, als „kleine Wiedergutmachung“ verstanden werden. Das ist zweifellos gelungen, weil mit Einbindung der Rosenthal-Kinder Ungenauigkeiten, Mutmaßungen und Anmaßungen entgegengewirkt wurde.
„Rosenthal“ baut mit Flashbacks den jungen Rosenthal (Claude Heinrich Albert) und den realen Rosenthal mit Rückgriff auf die Original-Sendung vom 9. November 1978 ein. Vergangenheit wird Gegenwart, beides zusammen bestimmt das allgemeine wie das besondere Bewusstsein des Films und seiner Protagonisten.
Florian Lukas ist als Hans Rosenthal herausragend. Er zeigt eine eindrucksvolle Charakterstudie, die den Fernsehhelden nicht vereinfacht, sondern differenziert darstellt in seiner Einsamkeit, seinem Eingebundensein in ein glückliches Familienleben, zuletzt in seiner Entschlossenheit beim Auftritt am 9. November 1978. „Rosenthal“ ist sicherlich Aufklärung und Aufarbeitung, aber was der Fiktion nach wahren Begebenheiten zentral ist, das ist das Miterleben und Nacherleben von Hans Rosenthals Zerrissenheit in der Darstellung von Florian Lukas. Immer, wenn er sich unbeobachtet fühlt, verschattet sich sein Gesicht. Der Schauspieler berührt.
Das Drehbuch von Gernot Krää bringt die verschiedenen Welten Hans Rosenthals zusammen. Die Regie von Oliver Haffner führt das Biopic über in eine ausbalancierte Geschichte, wie der Entertainer seinen großen Konflikt aushandelte, gute Unterhaltung mit dem richtigen Gedenken kombinieren zu wollen.
Nur wenige Monate nach dem 9. November 1978 wird Hans Rosenthal in seiner Autobiografie „Zwei Leben“ sein inneres Ringen als prominenter jüdischer Mitbürger der bundesdeutschen Öffentlichkeit präsentieren. Und über sich selbst stellt er fest: „Ich habe mich immer beeilt. Nicht um dem Glück nachzulaufen, sondern um dem Unglück zu entgehen.“
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