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Cormac McCarthy, 1933-2023.

© dpa/Beowulf Sheehan

Zum Tod des großen US-Schriftstellers Cormac McCarthy: Fürst der Finsternis

Am Abgrund des Lebens: Cormac McCarthy war mit Romanen wie „Verlorene“, „No Country For Old Men“ und „Die Straße“ einer der größten und bekanntesten Schriftsteller seiner Generation. Ein Nachruf.

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Es war vergangenes Jahr ein Ereignis im literarischen Leben, als gleich zwei Romane von Cormac McCarthy erschienen, „Stella Maris“ und „Der Passagier“. Nach seinem gefeierten apokalyptischen Roman „Die Straße“ hatte man lange sechzehn Jahre nichts mehr von dem amerikanischen Schriftsteller gehört, zu sehr schienen McCarthy seine Studien an dem interdisziplinären Forschungs- und Lehrinstitut in Santa Fe in Anspruch zu nehmen. Und dann wartete der Apologet der Finsternis tatsächlich noch einmal mit einem Doppelschlag auf, der verschlungen-unglückseligen Geschichte eines Geschwisterpaars in den sechziger- bis achtziger Jahren.

Der eine der beiden Romane besteht einzig aus einem Dialog zwischen der Schwester und ihrem behandelnden Arzt in einer psychiatrischen Klinik, über Gott, die Welt und das Sein; der andere, gewissermaßen der Roman des Bruders, ist vergleichsweise konventioneller, nicht unbedingt zugänglicher, mitunter rätselhaft-kryptisch-düster, mit einem großartigen New-Orleans-Setting.

Mathematik und Psychiatrie, der Zweifel an der einen Realität und die Überzeugung, dass es mehrere Wirklichkeiten gibt, die Sündenfälle und Verfehlungen der USA im zwanzigsten Jahrhundert (Atombombenabwurf, Kennedy-Mord etc.), die existentielle Verlorenheit des Einzelnen, seine Ausweglosigkeit – obwohl nicht immer stringent in der Erzählweise, hat McCarthy in seinem Romanvermächtnis ein letztes Mal die von ihm bevorzugten Stoffe behandelt.

1992 erhielt er den National Book Award

Es dauerte eine lange Zeit, bis Cormac McCarthy sich in den US-Literaturolymp neben Thomas Pynchon, Don DeLillo, John Updike und Philip Roth geschrieben hatte, trotz seines 1979 erschienenen Meisterwerks, „Suttree“, das auf Deutsch erst dreizehn Jahre später unter dem Titel „Verlorene“ veröffentlicht wurde. In den Staaten nahm ihn ein größeres Publikum erst wahr, als McCarthy für den Roman „All die schönen Pferde“ 1992 den National Book Award erhielt und damit solcherart geehrt auf Platz eins der Bestsellerliste der „New York Times“ landete.

Zuvor hatte die Zeitung ihn noch als den „vielleicht besten unbekannten Schriftsteller Amerikas“ bezeichnet. Bei einer Begegnung musste ein Reporter erkennen, dass McCarthy auch nicht viel daran lag, berühmter zu werden, er lieber über die Kaputtness seiner Heimatstadt, Klapperschlangen und Countrymusik sprechen wollte als über Literatur. Und viel später, da war er dann ein Literaturstar, ließ McCarthy bei einem seiner wenigen öffentlichen Auftritte wissen, in Oprah Winfreys Talkshow, dass ihn Ruhm nie interessiert habe – und seine Tage keineswegs besser würden, wenn Tausende Menschen seine Bücher lesen.

1933 in Providence, Rhode Island geboren als drittes von sechs Kindern eines wohlhabenden Anwaltsehepaars, wuchs Cormac McCarthy nach der Übersiedlung der Familie in Knoxville, Tennessee auf. Er studierte diverse Geisteswissenschaften, meldete sich freiwillig für vier Jahre zur Air Force, las, las noch mehr, schrieb erste Erzählungen und schlug sich unter anderem als Automechaniker und angeblich sogar eine Zeit lang wohnungslos auf den Straßen seiner Heimatstadt durch. Mit Anfang dreißig schickte er das Manuskript seines ersten Romans an den Random House Verlag. Dort lag es nicht lange herum, begeisterte den legendären Faulkner-Lektor Albert Erskine und wurde 1965 unter dem Titel „The Orchard Keeper“ veröffentlicht.

Düstere Atmosphäre

„Der Feldhüter“ ist in den unwegsamen, bergigen Regionen Tennessees angesiedelt, nicht weit von Knoxville. Der Roman verweist auf das, was alles kommt in diesem Werk, in Büchern wie „All die schönen Pferde“, „No Country For Old Men“ oder „Die Straße“, die wegen der jeweiligen Verfilmungen zu McCarthys berühmtesten zählen, ohne dass frühe Klassiker wie „Verlorene“ oder „Ein Kind Gottes“ dagegen abfallen würden. McCarthys Debüt lebt von einer dichten, düsteren Atmosphäre. Diese und der beeindruckende Sprachreichtum des noch jungen Schriftstellers helfen über manche Widerständigkeit hinweg. Die Verlorenheit der Figuren, die oft nur „der Alte“, „der Junge“ oder „der Mann“ heißen, sowie die Schönheit und die Härte der Natur durchdringen jede Zeile von „Der Feldhüter“.

Was nach zwei weiteren frühen Büchern auch für „Verlorene“ gilt. Dieser Roman ist grandios-verschlungenen, steht in der Tradition von Faulkner, Melville und Joyce und wird von vielen interessant kaputten Figuren bevölkert. Das Pandämonium des Bösen ist hier McCarthys Heimatstadt Knoxville: „Wir sind in eine Welt innerhalb der Welt gelangt“, heißt es zu Beginn, und damit ist die Stimmung dieses mit viel antiker Mythologie versetzten Romans vorgegeben. Oder: „In diesen fremden Territorien, diesen feindseligen Kloaken und öden Zwischenreichen, die der Gerechte vom Waggon oder vom Auto aus sieht, träumt ein anderes Leben. Verwachsen oder schwarz oder gestört, jede Ordnung fliehend, Fremde im Jedermannsland.“

Mit seiner mit „All die schönen Pferde“ beginnenden Border-Trilogie, angesiedelt im Grenzland von Texas und Mexiko, sowie dem Roman „Die Abendröte des Westens“ wurde McCarthy endgültig zum Fürsten der Finsternis, des literarischen Southern Gothic; auch in seinem Spätwerk, in dem von den Gebrüdern Coen verfilmten Drogenthriller „No Country For Old Men“ und in dem Endzeit-Roman „Die Straße“ (verfilmt von John Hillcoat mit Viggo Mortensen, Charlize Theron und Robert Duvall) überlässt er dem Bösen die Hauptrolle.

In „Kein Land für alte Männer“ regiert eine regel- und grundlose Gewalt, wie so häufig in diesem Werk, und in dem Roman „Die Straße“, für den McCarthy noch spät den Pulitzer-Preis erhielt, fragt der Sohn den Vater, die beide durch ein verwüstetes, praktisch restlos untergegangenes Amerika ziehen: „Sind wir immer noch die Guten?“ Eine Antwort bekommt der Sohn nicht, die braucht es auch nicht.

McCarthy hat den Abgründen des Lebens eine einzigartige literarische Gestalt gegeben; eine Erlösung gibt es nicht, keine Auswege, nirgends. Die versprechen allein seine Bücher, seine Sprache. Nun ist Cormac McCarthy in seinem Haus in Santa Fe im US-Bundesstaat New Mexico gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.

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