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Igor Luther  und Dagmar Knöpfel am Set von „Requiem für eine romantische Frau“.

© imago, TBM UnitedArchives 9912009

Zum Tod des Kameramanns Igor Luther: Deutsches Kinowunder aus Banská Bystrica

Er machte Schluss mit Opas Kino: Kameramann Igor Luther gab dem Jungen Deutschen Film seine Optik. Nun ist  er mit 77 Jahren gestorben.

Unser Autor Hartmut Becker ist Schauspieler und hat mit Igor Luther mehrere Filme zusammen gedreht.

Wir schweben sanft und neugierig über alle Hindernisse hinweg (und noch gibt es im deutschen Film keine steady cam), wir fahren eine unaufhörlich lange Strecke an fünf Darstellern entlang (und doch wurde keine Schiene genutzt), wir fliegen behutsam um das ängstliche Gesicht einer jungen Frau (und wir wissen nicht, wie diese Kreisbewegung entstand), wir rollen mit dem verzweifelten Liebespaar endlos über den Atelierboden (und erkennen nicht, wie dieser Blick erfunden wurde).

Igor Luther, der slowakische Kameramann erfand unendlich viele dieser wunderbaren unergründlichen Bewegungen ab dem Jahr 1970 für den Jungen Deutschen Film. 

Und er hat uns diesen unaufdringlichen Blick, diese grandiose Fähigkeit, sich den unterschiedlichsten Geschichten unterzuordnen, ihnen im besten Sinne zu „dienen“ bis in die Mitte der 1990er Jahre immer wieder geschenkt. 

Nun ist er, 1942 in Banská Bystrica geboren, leise von uns gegangen – und es gibt so viel von ihm zu erzählen.

Igor Luther arbeitete mit Schlöndorff und Verhoeven

Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“ von 1979 war natürlich sein absoluter Coup, da wurde spätestens die ganz große Filmwelt auf ihn aufmerksam. Und es gab zur Belohnung den Oscar. 

Klein fing es 1968 in München an. Igor Luther wurde – frisch ausgebildet an der Filmhochschule in Prag – von Helmut Förnbacher für dessen Erstling „Sommersprossen“ in die Stadt geholt. 

Da war die blutjunge wunderbare (unvorstellbar früh verstorbene) Helga Anders noch dabei. Eine freche Gangstergeschichte mit Pep für die Igor ungewöhnliche Bilder zauberte. 

Michael Verhoeven entdeckte Igor für den 1970er Berlinale-Festivalkiller „o.k.“ als kongenialen Partner und Cinematographer für seinen Traum von der richtigen optischen Umsetzung seiner Geschichten. 

Eine Symbiose die lange hielt und die bis ins Jahr 1987 immer wieder bewundernswerte Früchte trug, wie „Wer im Glashaus liebt... Der Graben“ (Berlinale 1971), „Ein unheimlich starker Abgang“ (1973), „MitGift“ (1975) und „Gundas Vater“ (1987). 

Luther fand tolle Bilder für Schlöndorffs „Der Fangschuss“

Doch inzwischen waren viele der nach Oberhausen erwachenden deutsche Filmemacher auf Igor Luther aufmerksam geworden. Er schien ihnen der richtige Kandidat zu sein, mit dem man gegen „Opas Kino“ auch optisch erfolgreich gewinnen konnte.

Ulrich Schamoni griff zu und setzte mit Igors Kameraarbeit die herrlich unverfrorene Story eines Jungkapitalisten um, der die französischen Spielkasinos mit einem todsicheren System ausräumen will („Eins“, 1971). 

Mit dabei Andrea Rau in ihrer wohl schönsten (blutjungen) Rolle, die Igor geschmacksicher und sexy ins Bild zu setzen vermochte. 

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Und dann 1976 der Knaller, Volker Schlöndorff überzeugt ihn von seinem politisch prallen Drehbuch „Der Fangschuss“, der gleichzeitig eine der schönsten zart-spröden Liebesgeschichten der deutsche Filmhistorie erzählt:. 

Die baltische Schlossherrin Sophie von Reval, die 1919 gemeinsam mit einem deutschen kleinen Trupp verhindern möchte, dass russische Revolutionäre ihr Anwesen okkupieren. Sie verliebt sich unsterblich in den Offizier Erich, der die Zuneigung nicht zu erwidern vermag.

Igor Luther umkreiste Margarethe von Trotta

Wie die vierunddreißigjährige Margarethe von Trotta bei ihren quälenden, bis zur Demütigung gehenden Bemühungen von unseren Blicken mit kostbaren Schwarzweißbildern umkreist und erforscht wird, zeigt wiederholt die Einmaligkeit von Igor Luthers Beobachtungsgabe. 

Auf „Der Fangschuss“ folgen die Blechtrommel (1979) und die aufregende „Fälschung“ von 1981, das wohl politisch engagierteste Werk von Volker Schlöndorff: im vom Libanonkrieg zerstörten Beirut von1981, versuchen der Journalist Laschen (Bruno Ganz) und der Fotograf Hoffmann (Jerzy Skolimowski) die Hintergründe des Krieges zu erforschen.

Igor Luthers Kamera gelingt es, eine beklemmende Nähe zu realen Kämpfen herzustellen, verliert dabei jedoch nie die Kunstform Film aus den Augen. 

Hanna Schygulla in ihrer wunderbaren Rolle der Greta – der es gelingt, dem todessehnsüchtigen Reporter einen anderen Blick auf den Krieg und das eigene Leben zu vermitteln, verzaubert auch uns durch das behutsame Auge der Kamera.

Auch mit Michael Haneke hat Igor Luther gearbeitet

Nun kann man fortfahren die bedeutsamen und unvergesslichen Arbeiten von Igor im deutschen Film aufzuzählen, ohne zu vergessen, dass er einen fantasiereichen tschechischen Regisseur wie Vojtech Jasny („Frühlingsfluten“, 1973) in den deutschen Film einbrachte.

Oder dass er mit Michael Haneke („Drei Wege zum See“, 1976) gedreht hat, mit Hans Jürgen Syberberg („Parsifal“, 1982), mit Bernhard Wicki („Die Eroberung der Zitadelle“, 1977), mit Wolfgang Staudte („Zwischengleis“, 1978), mit Helmut Dietl („Münchner Geschichten“, 1974), mehrmals mit Ulrich Schamoni, mit Tom Toelle und mit Peter Patzak und vielen anderen erfolgreich zusammen arbeitete. 

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Eine weitere Perle seines Schaffens war unbestritten der französische Kinofilm „Danton“ von Andrzej Wajda mit Gérard Depardieu. 

Dem deutschen Film bleibt Igor Luther jedoch weiterhin erhalten. Er drehte mit Schöndorff in den USA „Die Geschichte der Dienerin“ (mit Faye Dunaway) und nach der „Wende“ mit Michael Kohlhaase („Inge, April und Mai“, 1993).

Dokumentarfilm für den Münchner Fußballer Mehmet Scholl

Danach wurde es stiller um Igor Luther, er hatte wohl zu viel von seiner Energie an den deutschen Film verschenkt. 

Hin wieder arbeitete er nun gerne in seinem ihm vertrauten Prag, wo alles angefangen hatte und wo er auch einen seiner buntesten, wildesten und fantasiereichsten Filme mit Juraj Jakubisko realisiert hatte, der nebenbei die russische Besetzung der Tschechslowakei von 1968 erzählt („Vögel, Waisen, Narren“, 1969).

Im Jahr 2007 verlieh er noch dem Dokumentarfilm – der ihm kein unbekanntes Genre war – Glanz und Format. Ein Freundschaftsdienst für seinen Kumpel, den Münchner Fußballer Mehmet Scholl.

Liebe am zweiten Drehtag

Eine kleine Episode aus der Frühzeit von Igors filmischem Vermächtnis gibt es abschließend noch zu erzählen. 

Typisch für einen Low-Budjet-Film wie „o.k.“ – produziert von Rob Houwer – war, der Name sagt’s, dass es kein Geld gab. Also haben alle Beteiligten, Schauspieler (auch Eva Mattes), Regisseur und Kameraassistent den (Spiel-)Schützengraben ausheben müssen. 

Nur unser Kameramann Igor meinte in seinem charmanten, noch ungenügenden Deutsch: „...weiß nix von Umbauverpflichtung, muss mir Totale gucken, morrgen kommt Krrran.“ 

Von wo wollte er sich die Totale ansehen. Um Gottes Willen, auf eine der riesigen Fichten klettern? Wo er das letztendlich gemacht hat, bleibt sein Geheimnis. Es war uns egal. Wir liebten den Mann. Und das schon am zweiten Drehtag.

Hartmut Becker

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