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Der Kulturjournalist Hanspeter Krüger, 1937-2020

© Birgitta Ashoff/priv

Zum Tod des Kulturjournalisten Hanspeter Krüger: Die Moderation als Kunstwerk

Mit der Vorliebe für die Seitenpfade, die Nischendenker, die Vergessenen: Zum Tod des Kulturjournalisten Hanspeter Krüger. Ein Nachruf.

Als Schüler spielte er im Posaunenchor in Nikolassee und verehrte Gottfried Benn. Mit siebzehn ging er in dessen Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten in der Bozener Straße 20 und bat ihn um Gedichte für seine Schülerzeitschrift. Dr. Benn sah nicht einmal auf, als er ins Konsultationszimmer trat, knurrte hinter dem Schreibtisch: „Na, junger Mann, Gießkanne verbogen?“

Hanspeter Krüger steckte voll von solchen Geschichten, und er erzählte sie gern. Er war gerade mal 25, als ihn sein Doktorvater Walter Höllerer 1962 nach Berlin beorderte und ihm auftrug, das Dritte Hörfunkprogramm zu entwickeln.

Das Experiment eines von Autoren und Musikern kuratierten Kulturprogramms von NDR und SFB währte nur ein paar Jahre, aber das Wort „Drittes Programm“ blieb. Hier wurden die Tagungen der Gruppe 47 gesendet, die Dahlemer Debatten der Studenten, die Vorträge von Herbert Marcuse.

"Krüger Drei" war ein intellektueller Gravitationspunkt beim SFB

Im Frontstadtberlin, ging das nicht glatt über den Sender. Ein Intendant namens Barsig, der schon am Wort „Spätkapitalismus“ Anstoß nahm, degradierte Krüger wegen mangelnden Pluralismus zum Archivarbeiter.

Nach dem Einspruch des Arbeitsgerichts blieben „Krüger Drei“ und seine Abteilung „Kultur und Gesellschaft“ der intellektuelle Gravitationspunkt des SFB.

Über zwei Jahrzehnte entwickelte er im dritten Stock des Funkhauses mit einer Handvoll Kollegen – ich durfte ein paar Jahre dabei sein – immer neue Formate: „Gulliver“, die lange Stadtreportage über die Sorgen der Kleinen und die Sünden der Großen; Sendungen zum ökologischen Wandel; Essays über Gedenkorte, mit der Folge, dass das Gestapogelände nicht zur Kita wurde.

Hier schlugen Ost-Autoren mit Passierschein auf – und Hörerbriefe aus dem Osten. Hier rief Hubert Fichte aus Haiti an: „Hanspeter Krüger, können Sie mich hören? Hier ist wieder eine Revolution ausgebrochen.“ Hier war es möglich, dass Robert Jungk sechs Stunden sein Leben erzählte. Und noch in den Neunzigern gab es hier Wagnisse wie eine drei Tage währende Sendung „O-Ton-Berlin“, eine klingende Chronik der Stadt seit Entstehung des Funks.

Aktualität, das hieß für Hanspeter Krüger immer auch: die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Das machte er ganz wörtlich, wenn er in schnellen Schritte aus dem Archivkeller kam, mit einer Trouvaille aus früheren Zeiten, um die aktuelle Sendung zu beschweren. Dabei schöpfte er aus dem Vollen seines stupenden literarischen Gedächtnisses, seiner Vorliebe für die Seitenpfade, die Nischendenker, die Vergessenen. Ideen, Hinweise, Hilfestellungen verschenkte er großzügig. Status fand er lächerlich, sein Ehrgeiz ging aufs Ermöglichen, aufs Entdecken und Entwickeln.

Stammgast im Westberliner Kulturvieleck

An seinen Moderationen, kleinen Kunstwerken, feilte er halbe Tage; aber selber schreiben wollte er nicht: Es hätte seinen Ansprüchen nicht genügt.

Ein Vollzeitredakteur, dessen Dienstzeit nicht um 17 Uhr endete. Nach dem Redigieren und den Sitzungen des Personalrats – Krüger war aktiver Gewerkschafter – drehte er seine Kurven im Westberliner Kulturvieleck Akademie der Künste, Literarisches Kolloquium, Savignyplatz, Buchhändlerkeller, Paris Bar und Zwiebelfisch.

Viele, die er dort traf, waren seine Autoren, mit vielen war er befreundet. Wer vormittags zu ihm kam, um sich aus der opulenten Bibliothek mit vergessenen Dichtern der zwanziger Jahre und den Flugblättern und Broschüren der Siebziger zu bedienen, den grüßte er an der Tür mit dem Satz „Soll ich uns mal was Kleines kochen?“; und beim Abschied zog er einen Erstdruck aus den Zwanzigern aus der Regalwand im langen Flur: „Hier, nimm mit.“ Auch das war seine Art, einen zu umarmen.

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Mit seiner Freude am Vorlesen und Erzählen hat er auch in den zwanzig Jahren nach dem Abschied vom SFB seine Freunde, Kinder und Enkel erfreut, hat moderiert und Hörbücher eingesprochen. Einer seiner letzten öffentlichen Auftritte, im Buchhändlerkeller, hieß „Die Liebe liebt das Wandern…“

Mit seinem Kollegen Jürgen Tomm hat Hanspeter Krüger dort Gedichte von Wilhelm Müller gelesen, dem Demokraten und Virtuosen der Resignation, dem anders als Schubert, der ihn vertonte, kein Nachruhm beschieden war – ein klarer Fall für Krüger. Vor vier Wochen saßen wir noch nebeneinander in der Philharmonie bei Igor Levits Sonatenabend. Am vergangenen Mittwoch ist er mit 83 Jahren einfach vorm Fahrstuhl umgefallen. „Feins Liebchen, gute Nacht.“

Mathias Greffrath

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