zum Hauptinhalt

Kultur: Zum Tod des polnischen Schriftstellers und politischen Publizisten

Viel, befürchtete er zu Jahresanfang in einem Text für den Tagesspiegel, werde ihm vom neuen, dem 21. Jahrhundert, nicht mehr bleiben.

Von Gregor Dotzauer

Viel, befürchtete er zu Jahresanfang in einem Text für den Tagesspiegel, werde ihm vom neuen, dem 21. Jahrhundert, nicht mehr bleiben. "Deshalb", schrieb Andrzej Szczypiorski, "habe ich wenig Lust, mich von dem zu Ende gehenden zu trennen. Es war weder süß noch gut zu mir, aber alles, was mich ausmacht und was ich geschaffen habe, gehört zu ihm. Auch meine Erinnerungen. Ohne die Erinnerungen existieren wir nicht mehr. Deshalb bleibe ich im vorigen Jahrhundert zurück. Dort sind meine Lieben, meine Leiden, meine Freuden und Enttäuschungen."

Szczypiorski hat Recht behalten und nur noch einen Blick auf das werfen können, was ihm und seinem Land Polen, als dessen schriftstellerischer Botschafter er gerade den Deutschen galt, bevorstand. Die angekündigte Integration Polens in die Europäische Union wirkte auf ihn "weniger verlockend als je zuvor". Vielleicht, fügte er allerdings hinzu, liege das ja "am Blickwinkel eines alten Mannes". Am Dienstag ist Szczypiorski in seiner Geburtsstadt Warschau gestorben.

Der alte Mann war dennoch in vieler Hinsicht jünger, als er lange öffentlich erschien. 1998 verblüffte er seinen deutschsprachigen Verlag Diogenes mit dem Hinweis, dass er nun seinen 70. Geburtstag zu feiern gedenke - wo doch alle Bücher das Geburtsdatum vom 3. Februar 1924 schmückte. Das Missverständnis sei entstanden, erklärte er, weil ein Tippfehler in einem Literaturlexikon über die Jahre nie korrigiert worden sei. Der Grund dafür aber, gestand er, war das Bemühen, seine Frau Ewa zu gewinnen: Anders hätte er sie als verliebter 18-Jähriger nicht heiraten können.

Den Sinn für politisches Engagement hat Szczypiorski schon im Elternhaus gelernt. Der Vater, Ingenieur von Beruf, war auch Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei. Die Notwendigkeit des Handelns erkannte er spätestens unter der deutschen Okkupation Polens. Vom August bis zum Oktober 1944 gehörte der Jude Szczypiorski zum Warschauer Widerstand - wofür er bis zur Befreiuung im Frühjahr 1945 das Konzentrationslager Sachsenhausen erduldete.

Die KZ-Erfahrung ist auch eine entscheidende Wurzel für seine Bücher. "Die schöne Frau Seidenmann" (deutsch 1988), Szczypiorskis hier zu Lande berühmtester Roman, entwirft - mit Ausblicken in Vergangenheit und Zukunft - ein Panorama des Lebens in Warschau während der Nazityrannei, diesseits und jenseits des jüdischen Ghettos. Es ist ein Buch, das sich auch deshalb so beeindruckend liest, weil der Erzähler seine lebensvollen Figuren von vornherein als dem Tod geweiht vorstellt: Sie werden jeweils von ihrem Ende her betrachtet - Opfer einer unbarmherzigen Geschichte. Die Gnade kommt einzig und allein vom Erzähler, der selbst die Charaktere der Täter differenziert entfaltet und selbst die Schuldigen nicht ohne Mitgefühl zeichnet. Dabei ist es ein besonderes Verdienst Szczypiorskis, dass er das Augenmerk auch auf den polnischen Antisemitismus richtet.

Die Kritik schätzte "Eine Messe für die Stadt Arras" als das bedeutendere Buch ein, einen historischen Roman aus dem Burgund des 15. Jahrhunderts, der den Exodus polnischer Juden als Parabel vor dem Hintergrund von Hunger und Pest erzählt. Nach den antisemitischen Kampagnen um 1968 konnte er in Polen erst 1971 erscheinen und brachte seinem Autoren im Jahr darauf den Preis des heimischen PEN ein.

Neben ihrer moralischen Autorität, ihrer Wärme und Noblesse, die auch der Person Sczcypiorski zu Eigen waren, ist das Bestechendste an den Büchern freilich ihr Stil: eine fast lateinische Klarheit des Redens und Schreibens, die ihr (übergeordnetes) Pendant in einem realistischen Erzählen hat, das sowohl Erfolg beim Publikum garantierte wie das Wohlwollen von Szczypiorskis wichtigstem publizistischem Mentor Marcel Reich-Ranicki. So sehr dieses Erzählen anfangs vielleicht von einer sozialistischen Ästhetik geprägt war, mit der Szczypiorski später nichts mehr zu tun haben wollte, so wenig lässt sich auch der Journalist verleugnen, als der er viele Jahre arbeitete.

1956 begab er sich in den diplomatischen Dienst nach Dänemark. Nach seiner Rückkehr 1959 arbeitete er publizistisch - auch als Krimi- und Drehbuchautor. Ab 1976 sympathisierte er mit der polnischen Dissidentenbewegung, was ihm unter dem Kriegsrecht erneut zum Verhängnis wurde: Man internierte ihn im Lager Jaworza. Nach der Wende sah man ihn noch einmal drei Jahre für die "Solidarnosc" im Senat. Dann war er der Politik müde. Aber geschrieben hat er bis zuletzt.

Zur Startseite