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Kultur: Zurück zu den Flammen

Viele Filme enden mit dem Feuer.Dieser beginnt damit.

Viele Filme enden mit dem Feuer.Dieser beginnt damit.Es flackert und züngelt und zischt und kracht.Irgendwo im Getöse werden Naziparolen geschrien.Die Fabrik eines jüdischen Schokoladenfabrikanten ist in Flammen aufgegangen.Das Format ist Cinemascope.Der Schauplatz Deutschland.Die Zeit: Jetzt.

Die Täter, vermutlich Neonazis, sind diesem Film egal, obwohl er ab der ersten Sekunde unverkennbar als Thriller daherkommt.Doch der Thrill liegt unter der politischen Oberfläche, im kollektiven Verdrängten."Meschugge" spielt heute, doch er gräbt sich über fünfzig Jahre in die Geschichte zurück, mitten in die Verbrechen, die Deutsche den Juden angetan haben und die mit Kriegsende noch nicht beendet waren.

Ein déjà-vu also.Irgendwann, es muß auch in der Nachkriegszeit gewesen sein, hat sich der Stoff in unsere Hirne eingegraben.Seitdem liegt er da, notdürftig bedeckt, aber abrufbar: Schuld und Vergebung.Familiengeschichten, an die man lieber nicht rührt.Lebensgeschichten mit Leerstellen.Lange hat niemand im Kino davon gesprochen, jedenfalls nicht mit den Mitteln des Krimis.Aber zehn Jahre haben Dani Levy und Maria Schrader an diesem Filmprojekt gearbeitet.Da wächst ein Film schon zu gewaltigen Dimensionen heran."Meschugge" geht aufs Ganze, in jeder Hinsicht.Technisch: mit Überwältigungstaktik.Narrativ: indem er Gegenwart und Familiengeheimnisse, Thrillerverwicklungen und Liebesgeschichten, Deutschland und New York miteinander verknüpft.Und nochmal die Liebe.

Die deutschjüdische New Yorker Set-Designerin Lena Katz ist eine, die handelt, bevor sie nachdenkt, dafür aber um so vergrübelter schaut.Lena ist die Enkelin von Eliah Goldberg, dem Schokoladenproduzenten.Kaum, daß sie von dem Anschlag hört, sitzt sie schon im Flugzeug nach Deutschland, um ein paar Politiker anzurotzen.Zurück am Set in New York, wo ein paar Flammen die schöne Warenwelt dramatisieren sollen, verweigert sie - zum erstenmal? - der Werbeästhetik den Gehorsam.

Lernprozesse.Entdeckungen.Verbindungen.Auch in den USA berichtet man von dem Anschlag.In New York meint Ruth Fish, eine alte Dame, die damals vermeintlich als einzige ihrer Familie den Nazis entkommen konnte, in Eliah Goldberg ihren Vater zu erkennen und setzt einen Detektiv auf die Spur an.Ergebnis negativ.Doch bald sollen sich beide Erzählstränge und beide Familien noch einmal überkreuzen.Nur soviel: Es geht um zwei Mütter, die am gleichen Tag Geburtstag feiern sollten.Ruth Fish stirbt.Lena aber, die die schwerverletzte Frau retten wollte, trifft im Krankenhaus David, ihren Sohn.Und während er der aufgelösten jungen Frau den verlorenen Davidstern um den Hals hängt, ist eigentlich schon alles geschehen.Denn spätestens jetzt hat das Schicksal die Fäden in der Hand."Nichts passiert einfach so.Nichts ist selbstverständlich", sagt David.Da ist also erstmal Liebe auf den ersten Blick.Dann ein Unfall, vielleicht sogar ein Mord.Und eine aufzudeckende unheimliche Vergangenheit.Aber statt auf dem angepeilten Niveau sein Netz zu knüpfen, setzt der Film alles auf die Liebe.Und verspielt.

"Meschugge" ist ein Liebesprojekt in jeder Hinsicht.Und es war süß, als Maria Schrader und Dani Levy im Fernsehen auftraten, um das in gemeinsamer langer Arbeit hochgepäppelte Baby gemeinsam zu präsentieren.Gegen viele Widerstände müssen die beiden das Projekt durchgeboxt haben, und in der Talkshow kommt so ein kämpferisches Paar gut und schön.Im Kino dagegen ist es ja oft eher peinlich, wenn Liebespaare sich selbst inszenieren.Auch hier ist das so, doppelt und gegenseitig.Da wird die Faszination füreinander mit soviel Eifer auf die Leinwand gebracht, daß dabei das Gefühl für die Entwicklung der Kriminalgeschichte verlorengeht.Deren grober Ausgang ist schon bald nach der Exposition absehbar.Mit den Details aber, die die Sache spannend machen könnten, geizt dieser Film.Oder er benutzt sie als Stolpersteine, über denen man noch grübelt, wenn der Plot längst woanders ist.

Alles muß sich in diesem Film dieser Liebe unterordnen, was auch heißt, daß die Persönlichkeiten sämtlicher anderen Personen grob verkümmert sind.Selbst eine so schillernde Gestalt wie der Anwalt und Holocaust-Rächer Charles Kaminski (David Strathairn), der beim ersten Auftreten in seinem New Yorker Büro als jüdische Marlowe-Parodie inszeniert wird, bleibt in diesem Szenario groteske Schachfigur.

Zurück zu den Flammen.Mehrmals noch taucht das Feuer metaphorisch und real in diesem Film auf.Das macht Sinn, aber auch viel her, zusammen mit einem Sound (Niki Reiser), der satt reinhaut.Kein Versuch zur Bescheidenheit.Wir machen großes Kino und zeigen es.Levys letzter Film, "Stille Nacht", leitete 1995 eine Staffel deutscher Produktionen ein, die dem deutschen Film aus der Komödienmisere zu neuem Ruhm verhelfen wollten.Die Firma "X Filme", zu der Levy sich mit zwei Regiekollegen und dem Produzenten Stefan Arndt zusammengetan hat, ist hier eine wichtige treibende Kraft.Nur manchmal, da scheint die strenge Hand zu fehlen, die die überschäumenden Regiegenies zurechtweist.

Ein opulenter Film.Doch ein Vergleich der in New York und in Deutschland spielenden Szenen zeigt, wie Topographie die Ästhetik bestimmt.New York ist romantisch, Köln nur aalglatt.Das geht natürlich auch anders.Aber wenn das deutschsprachige Kino sich international verkaufen will, dann am besten mit Nazis und Lederhosen.Stefan Ruzowitzkys Heimatwestern "Die Siebtelbauern" etwa ist vor seinem Deutschland-Start in den USA erstaunlich erfolgreich gelaufen.So scheint die Entwicklung des deutschen Kinos - seit Tom Tykwers "Winterschläfer", der den Bergfilm neu entdeckte - ausgerechnet mit nationalen Stoffen den Weltmarkt anzusteuern.Zuletzt: "Aimée und Jaguar".Vorläufer: Wolfgang Petersens "Das Boot".

"Meschugge" wurde auf englisch gedreht, und nachsynchronisiert, im Vergleich zum sonstigen technischen Aufwand auf ziemlich lausigem Niveau.Als Titel ein Wort, das zwar einmal fällt, aber begrifflich mit dem Filmstoff gar nichts zu tun hat, außer daß es halt schön jiddisch klingt.Ein Etikett? Erobert das deutsche Kino jetzt mit jüdischem Label den Weltmarkt? Ironisch genug wäre es.

"Meschugge" ist ab morgen in den Berliner Kinos Blow Up, Cinemaxx Potsdamer Platz und Colosseum, Kant, Passage, Scala und Zoo Palast zu sehen.Die untertitelte Originalfassung läuft im Moviemento.

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