Kultur: Zwei Franzosen auf dem Streitwagen
Das muss ihm erst mal einer nachmachen: Im Pariser Mai 1968 stand er noch als Maoist auf den Barrikaden. Nun, da Frankreich den Chirac-Nachfolger bestimmt, ruft er zur Wahl des konservativen Gaullisten Nicolas Sarkozy auf.
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Das muss ihm erst mal einer nachmachen: Im Pariser Mai 1968 stand er noch als Maoist auf den Barrikaden. Nun, da Frankreich den Chirac-Nachfolger bestimmt, ruft er zur Wahl des konservativen Gaullisten Nicolas Sarkozy auf. Aber irgendwie hatte man das von André Glucksmann auch nicht anders erwartet.
Die alten französischen Philosophen heißen Montaigne, Descartes und Pascal. Ihre Bücher gehören zum Kanon. Nicht ganz so alt sind Foucault und Derrida. Auch sie sind in kulturellen Diskussionen fast unerlässlich geworden. André Glucksmann aber ist – neben Bernhard-Henri Lévy und Alain Finkielkraut – einer der prominentesten Vertreter der sogenannten „neuen Philosophen“. Die sind nicht ganz so unumstritten, weil sie sich den Kampf gegen Totalitarismus jeglicher Couleur auf die Fahnen geschrieben haben. Dazu gehört ein geharnischtes Engagement für Bosnien und Tschetschenien, aber auch die Befürwortung des amerikanischen Einmarschs im Irak. Für ihre Freiheit, so Glucksmann, müsse die Demokratie auch töten. Der fast 70-Jährige stammt aus einer jüdischen Emigrantenfamilie, um Haaresbreite ist er der Deportation entgangen. In den Sechzigern war er ein Protagonist der Linken, sein politisches Umdenken – manche reden von „Rechtsschwenk“ – setzte wie bei vielen französischen Intellektuellen Mitte der Siebziger ein. Da erschien Solschenizyns „Archipel Gulag“ und entzauberte die kommunistischen Verheißungen. Glucksmanns berühmtestes Buch „Die Meisterdenker“ (1977), angeblich von der Solschenizyn-Lektüre inspiriert, wirft den deutschen Philosophen von Fichte über Hegel und Nietzsche bis Marx einen Hang zur abgeschlossenen, endgültigen Idee vor. Für ihn hingegen fängt alles „damit an, seine eigene Verwunderung zu akzeptieren“. Die Grunderfahrung, der Impuls seines Philosophierens, sei aber das einfache Weitermachen nach Auschwitz gewesen – die trügerische Versöhnung und Urlaubsruhe des alten Europa. Gegen die hat er angeschrieben. Den streitbaren Mann kann man am 26.3. (20 Uhr) im Jüdischen Museum erleben, wo er seine Erinnerungen „Wut eines Kindes, Zorn eines Lebens“ (Nagel & Kimche) im Gespräch mit Dan Diner vorstellt.
Und gleich noch einen „neuen Philosophen“ beschert uns diese Woche. Der medial allseits routinierte Bernhard-Henri Lévy – auch BHL – kommt am 22.3. (19 Uhr 30) ins Audimax der Humboldt-Uni (Unter den Linden 6, Mitte). Dort geht es um die USA. Wie seine berühmten Landsleute Alexis de Tocqueville, der 1835 die „Demokratie in Amerika“ untersucht hatte, und der verstorbene Inspirationsschriftsteller Jean Baudrillard bereist nun Lévy das bewundert-verteufelte Land. In „American Vertigo“ (Campus) erfährt man etwas über das Leben der Araber im Amerika nach dem 11. September, über Bush und darüber, wen BHL alles getroffen hat. Ob das Philosophie ist?
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