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Aufstieg unmöglich. Katharina Matz, Wolfgang Menardi und Camill Jammal in "Alte Meister".

© Arno Declair/Deutsches Theater

Zwei Premieren an den Kammerspielen: Schöner hassen

Neurosen auf dem Präsentierteller: „Vor Sonnenaufgang“ und „Alte Meister“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.

Martha erwartet ein Kind. Aber von überbordendem Glück kann keine Rede sein im Mehrgenerationenhause Krause, das ist schon ab der ersten Minute klar. Statt Morgenröte herrscht Untergangsstimmung in Jette Steckels Inszenierung „Vor Sonnenaufgang“. Sie hatte bereits im Mai bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen Premiere und ist jetzt auf der Kammerbühne des Deutschen Theaters Berlin angekommen.

Martha (Franziska Machens), die an Depressionen leidet, kann ihren Gatten Thomas (Felix Goeser) bisweilen so wenig ertragen, dass sie reflexartig nach ihm schlägt, sobald er sich ihr nähert. Ein klassischer Fall aus dem Segment „Beziehungstragödien in mittelständischen Eigenheimen“ also, den Steckel hier inszeniert. Schließlich ist die Krause’sche Immobilie bevölkert von lauter Zeitgenossen, die derart um Statuserhalt und Rest-Ego-Stabilität kämpfen, dass die Kraft für mehr einfach nicht reicht. Der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer hat Gerhart Hauptmanns naturalistisches Drama „Vor Sonnenaufgang“ aktuell überschrieben und aus der neureichen Bauernfamilie von 1889 eine heutige Unternehmersippe aus der Auto-(Karosserie-)Branche gemacht. Seinen Text haben vor Jette Steckel bereits Nora Schlocker in Basel und Dušan David Parízek am Wiener Burgtheater inszeniert.

Warnung vor der Ehe

Deutlich gegenwärtig wirkt hier vor allem der politische Konflikt, den der Unternehmer Thomas mit seinem alten Studienkumpel Alfred Loth (Alexander Simon) ausficht. Während Thomas inzwischen rechtskonservative Ansichten vertritt, schreibt Alfred für ein linkes Wochenmagazin. Rein individualbiografisch ist freilich schnell Schluss mit den Idealen. Namentlich mit denen von der Veränderbarkeit der Menschen und Verhältnisse. Vor der sich anbahnenden Beziehung zu Marthas Schwester Helene (Maike Knirsch) schreckt Alfred feige zurück. Familienarzt Doktor Schimmelpfennig (Timo Weisschnur) hatte ihn über die familiäre (Erb-)Krankheitsgeschichte aufgeklärt und gewarnt, dass auch Helene die Depressionsneigung in sich tragen könnte, die sich bei Martha zeigt.

All das rollt in Steckels Inszenierung auf Florian Lösches leerer Drehbühne ab wie auf dem Präsentierteller. Jeder trägt seine Neurosen und jede ihre Befindlichkeiten von Anfang an offen vor sich her. Was sich ändert, ist der Präsentationsmodus. Während Franziska Machens als Martha nach dem Gatten schlägt, plauzt Regine Zimmermann als deren Stiefmutter Annemarie ihr Problem krachledern heraus. Selbiges besteht in einer hypermanifesten Objektfixierung auf andere Männer. Denn den eigenen (Michael Goldberg) muss sie spätabends öfter mal aus Kaschemmen herausholen, statt mit ihm ins Bett zu gehen. Der Mann eine Flasche, die Frau notgeil: Mitunter kreist der Abend in weidlich ausgetretenen Rollengestaltungspfaden seinem tragischen Ende entgegen.

Es soll gelacht werden

Während in „Alte Meister“ – nach René Polleschs Saisonauftakt „Cry Baby“ und Steckels Palmetshofer-Inszenierung bereits der dritten DT-Premiere im September – vor allem gelacht wird. Der Schweizer Regisseur Thom Luz hat zusammen mit dem Dramaturgen David Heiligers aus Thomas Bernhards furiosem Roman eine siebzigminütige Theaterfassung destilliert. Bei Bernhard reflektiert die Erzählerfigur Atzbacher über den befreundeten Kulturkritiker Reger, der seit dreißig Jahren jeden zweiten Tag im Wiener Kunsthistorischen Museum sitzt und vor Tintorettos „Weißbärtigem Mann“ grandios ins Granteln gerät. Über Österreich, die Politik, die Kunst und alles, was sonst noch so von Belang ist.

Reger hasst das Burgtheater mindestens so wie Heidegger, „diesen nationalsozialistischen Pumphosenspießer“, was sogleich vom Museumswärter Irrsigler, Regers Sprachrohr, aufgegriffen wird. Thom Luz – seit jeher ein eher menschenfreundlicher Regisseur mit musikalischem Feingespür – will sich laut Programmheft „auf die Suche nach der Liebeserklärung hinter der Hasstirade“ machen. Gut zu wissen. Aus der Inszenierung selbst erschließt sich nicht so recht, was Luz an Bernhard genau interessiert.

Hinter dem Nebel

Der Roman ist auf wenige Kernpassagen reduziert, die dann vom verdreifachten Museumswärter Irrsigler (Christoph Franken, Camill Jammal und Wolfgang Menardi) betont auf Pointe intoniert werden. Das Trio steckt die Köpfe durch vermeintliche Wände, unterhält sich putzig über Funkgeräte und bewegt sich bei alledem hinter einer Gazewand im Nebel, der sich langsam lichtet und einen weißen Museumssaal freigibt. Vor diesem White Cube sitzt die große Schauspielerin Katharina Matz als „Frau Reger“ in dem von Luz und Menardi kreierten Bühnenbild auf einer Museumsbank und wirkt vor allem: menschenfreundlich. Ja, möglicherweise eine „Liebeserklärung“. Eines ist der Abend auf jeden Fall: lieblich.

Nächste Vorstellungen: „Vor Sonnenaufgang“ am 17. und 23. September, „Alte Meister“ am 18. und 22. September.

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