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Astrit Ibro leitet die Auslandsprogramme von Radio Tirana.

© Schütte

Auslandssender: „Hier ist Radio Tirana“

Vor dem Untergang des Kommunismus sendete der albanische Rundfunk in 22 Sprachen, danach waren es nur noch sieben. Deutsch ist immer noch dabei.

„Das Programm von Radio Tirana hören Sie täglich von Montag bis Samstag auf der Kurzwellenfrequenz 7465 kHz.“ Astrit Ibro beugt sich über das Manuskript: „Und nun die Nachrichten. Tirana. Der Ministerpräsident Albaniens stellte heute seine neue Regierung vor.“ Die Sätze der Nachrichten sind korrekt formuliert, doch Astrit Ibro spricht sie mit hartem Akzent. Er ist Albaner und leitet die Auslandsprogramme von Radio Tirana. 1974 wurde er zum Germanistikstudium delegiert – nicht etwa nach Deutschland oder Österreich, sondern nach China. Erst vier Jahre später begegnete er den ersten Deutschen auf dem Flur von Radio Tirana.

Er schaut über das Mikrofon hinweg und gibt der Aufnahmeleiterin hinter der Glasscheibe das Zeichen, einen Jingle zu starten. In der mit dunklem Holz getäfelten Sprecherkabine wurden schon Sätze gesprochen wie: „Der Sozialismus, den wir gestützt auf unsere eigenen Kräfte aufbauen, hat dem albanischen Volk ein freies, demokratisches und fröhliches Leben gesichert.“ Oder: „Unbeschreibliche Freude erfasste die Werktätigen, als Genosse Enver Hoxha, der erste Sekretär des Zentralkomitees, die Tribüne betrat.“

Bis Anfang der 90er Jahre waren die Stimmen der Nachrichtensprecher, die in dieser Kabine aufgenommen wurden, die einzigen, die sich täglich aus Albanien meldeten, denn das Land war nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1961 und der 1978 beendeten Liaison mit China völlig abgeschottet. Die Propagandamaschine jedoch lief weiter auf Hochtouren. In 22 Sprachen wurden wirtschaftliche Erfolgsmeldungen und Kommentare zum Weltgeschehen in den Äther gesandt.

An das System geglaubt

Damals wurden die Auslandsprogramme von Muttersprachlern gelesen. Einer von ihnen lebt heute in Hamburg. Jochen Blanken war Mitglied der albanientreuen KPD/ML und in den 80er Jahren drei Jahre lang die Stimme aus Tirana. „Wir hatten zwei Frauen, die sich um die Kinder kümmerten und kochten, und führten ein relativ privilegiertes Leben.“ Er habe an das System geglaubt und staune heute selbst darüber, wie wenig er von den Nöten der einfachen Menschen erfuhr. „Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich keine drei Jahre in Albanien verbracht.“ Im einzigen Land Europas, das sich nicht mit einer Unterschrift unter die KSZE-Schlussakte zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtete, herrschte Willkür. Schon für die leiseste Kritik drohten hohe Gefängnisstrafen.

Astrit Ibro wiederum übersetzte und verfasste damals Texte für die Propagandasendungen von Radio Tirana. „In Albanien gab es keine Dissidenten. Man war gut beraten nicht aufzufallen.“ Nach der Wende reduzierte Radio Tirana aus Kostengründen sein Kurzwellenangebot auf sieben Sprachen. Als die schwedische Redaktion Anfang der 90er Jahre aufgelöst wurde, musste Svjetllana Mihali umlernen. Mit schwedischer Klangfarbe spricht sie heute abwechselnd mit Astrit Ibro die aus albanischen Agenturen übersetzten Nachrichten auf Deutsch und verfasst Beiträge für regelmäßige Magazine wie „Hervorragende Gestalten des albanischen Volkes“ oder „Albaniens Weg der europäischen Integration“.

Mittwochs verliest sie Botschaften wie diese: „Liebe Svjetllana und lieber Astrit, der Empfang von Radio Tirana auf Kurzwelle hat heute Abend wieder brauchbar funktioniert. Grüße von Josef Zimmermann.“ Im Hörerbriefkasten kommen Stammhörer zu Wort, deren Hobby es ist, Kurzwellensender anzuschreiben und Empfangsbestätigungen, sogenannte QSL-Karten, zu sammeln. Ihrer regen Beteiligung ist zu verdanken, dass das deutsche Programm nicht wie andere eingestellt wurde. Für einige Sprachregionen war mangels Hörerrückmeldungen gar nicht sicher, ob überhaupt jemand täglich das Programm hört.

„Auf jeden Hörer, der E-Mails oder Briefe schreibt, kommen zehn, die nur zuhören“, sagt Werner Schubert, der Leiter des Radio-Tirana-Hörerklubs. Er war der erste Hörer, der zu kommunistischer Zeit nach Albanien eingeladen wurde. 1989 beteiligte er sich am Preisausschreiben „Was wissen Sie über Albanien?“ mit einem 40-seitigen Aufsatz. Er hatte sich beim Hören des Programms stets fleißig Notizen gemacht. Am Flughafen wurde er wie ein Staatsgast empfangen. „In Tirana gab es damals keinen privaten Autoverkehr“, erinnert er sich, „und um acht Uhr abends wurden die Bürgersteige hochgeklappt.“ Auch tagsüber kam er mit Passanten so gut wie nicht in Kontakt. Wer mit einem Ausländer sprach, musste sich anschließend Fragen des Geheimdienstes gefallen lassen.

Mehrmals im Jahr verschickt Werner Schubert an rund 80 Klubmitglieder einen Rundbrief mit Nachrichten aus Albanien und der Redaktion. Seit 2012 sind die Sendungen unter www.radio360.eu im Internet nachzuhören. Aber seinen heute fast schon altertümlich anmutenden Zauber entwickelt das Programm erst auf Kurzwelle, wenn pünktlich um 21 Uhr 30 die Stationskennung das Rauschen im Äther durchdringt und der Satz erklingt: „Hier ist Radio Tirana…“

Fritz Schütte

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