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Pia gehört zu uns! Die Großeltern wollen verhindern, dass ihre Enkelin von den türkischen Nachbarn großgezogen wird (v.l.n.r.: Katrin Sass mit Malina Harbort, Lutz Blochberger, Neshe Demir, Murathan Muslu).

© NDR/Banana Tree Film/Daniela Inc

"Das deutsche Kind" in der ARD: Meine Enkelin, mein Glaube, meine Sorge

Provokanter Thesenfilm im Ersten: Dürfen die türkischen Nachbarn die Tochter einer Deutschen großziehen? Ein Gewinner dürfte jetzt schon feststehen.

Eine deutsche Christin, die bei türkischen Pflegeeltern aufwächst? Bei einem Vater, der angehender Imam ist und früher mal Salafist war? Bei einer Mutter mit Kopftuch? Anders gefragt: Würden Sie für den Fall Ihres Ablebens eine Sorgerechts-Verfügung aufsetzen, dass Ihr Kind zu den türkischen Nachbarn kommt, nicht zu den deutschen Großeltern? Die Fragen, die der Fernsehfilm „Das deutsche Kind“ stellt, sind vor dem Hintergrund des Islamstreits hochaktuell. Man könnte auch sagen, das ist der richtige Film zur richtigen Zeit, der Film zur Seehofer-These, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört.

Das tut er ja irgendwie doch, jedenfalls kann das angesichts von drei bis 3,5 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund gar kein großes Thema mehr sein – so denkt zumindest Natalie Unger (Petra Schmidt-Schaller), eine junge, alleinerziehende Mutter, deren beste Freundin Sehra (Neshe Demir) gleich nebenan wohnt. Nach Natalies plötzlichem Unfalltod wird Natalies Tochter Pia zum Spielball der Angehörigen – und zum Spielball der Kulturen.

Statt bei ihren Großeltern soll die Tochter (Malina Harbort) nach Natalies testamentarischen Wunsch bei der besten Freundin der Mutter aufwachsen. Und damit in einer islamischen Familie, bei den Pflegeeltern Sehra und Cem Balta (Murathan Muslu), die sich die Entscheidung – Sorgerecht annehmen oder nicht? – nicht leicht machen.

Sie haben eine eigene Tochter Hanna (Sue Moosbauer) und holen Pia zusätzlich in ihr Kinderzimmer. Dadurch handeln sie sich heftige Kritik ein, auch von Hanna. Die Herausforderungen, mit denen sich die Eltern konfrontiert sehen, als sie das junge Mädchen zu sich nehmen, sind deutlich größer als erwartet.

Es ist vor allem das Gesicht von Cem, indem sich über fast 90 Minuten der ganze Konflikt abspielt, aufgerieben zwischen den Vorbehalten der eigenen strenggläubigen, muslimischen Gemeinde, die dazu noch misstrauisch Cems Uni-Karriere beäugt, und den Vorbehalten von Pias Großeltern, die nur auf den ersten Ausrutscher der neuen Sorgeeltern warten. Es ist nicht übertrieben zu vermuten, dass sich Murathan Muslu („Risse im Beton“) mit dieser Rolle einen Fernsehpreis erspielt.

Wut über so wenig guten Willen

„Michael Haneke hat einmal gesagt“ so Regisseur Umut Dag, „ was ihn an guten Schauspielern grundsätzlich fasziniere, sei das Geheimnisvolle, das sich in ihnen verbirgt.“ Er habe eine sehr frühe Rohschnittfassung von „Risse im Beton“ gesehen und war von Murathan sehr angetan, er hat ihn mit Marlon Brando oder Javier Bardem verglichen.

Haneke hätte hier seine Freude. Anders als Marlon Brando muss Cem bei diesem Film die Fäuste in der Hosentasche lassen, sich die Wut über so wenig guten Willen und Gemeinsamkeit abends förmlich vom Leib joggen. Er lässt sie permanent spüren, die Enttäuschung, das Unverständnis, mit dem Cem auf die Beschwerden von Pias Großmutter reagiert, die, beeindruckend schroff, von Katrin Sass gespielt wird.

Auch wenn sich Regisseur Dag scheut, in diesem provokanten Thesenstück über Toleranz, Glauben und Vorurteile eindeutig Position zu beziehen – selten ist ein Charakter so unsympathisch über den Bildschirm rübergekommen wie diese deutsche Großmutter. Selten hinterfragt man sich aber auch so als Zuschauer, ob das jetzt wirklich so unsympathisch ist oder nicht auch nachzuvollziehen sein sollte: Wenn die besorgte Großmutter ein gemeinsames Wochenende mit Pia im Haus klammheimlich nutzt, um die Taufe der Enkelin zu gestalten, samt großzügiger Geschenke, ohne dass die türkischen Sorgerechts-Eltern davon etwas wussten. So funktioniert Abgrenzung.

„Pia soll dahin zurück, wo sie hingehört. Sollen wir warten, bis unsere Enkelin mit Kopftuch herumläuft?“, fragt die Oma, außer Acht lassend, dass Sehra und Cem ein eher westlich-liberales Modell des muslimischen Glaubens an den Tag legen. Wenn selbst da kein Einverständnis zwischen (deutschen) Christen und (türkischen) Muslims mitten in Deutschland, in Hannover, zu erzielen ist, wann denn dann? Oft scheint es den Streitenden mehr um Glaube, Heimat und Religion zu gehen als um das Kind.

Und, sollte Horst Seehofer zuschauen: Gehört nun der Islam zu Deutschland? Jein. Es ist eine kleine Schwäche dieses Films, dass sich „Das deutsche Kind“ (Buch: Paul Salisbury ) hinten raus auf eine recht weichgespülte Konfliktlösung einlässt. Die Idee kam dem Autor bei der Geburt seiner eigenen Tochter: „Ich habe mich gefragt: Würde ich unser Kind einem befreundeten Nachbarn zum Babysitten anvertrauen, der Moslem ist? Spielt dessen Glauben für meine Entscheidung eine Rolle?“ Alleine derzeit diese Fragen gestellt zu haben, bringt Steine ins Rollen. Ein durchaus konstruierter, aber ein starker, ein polarisierender Film, dem heftige Diskussionen folgen werden. Auf allen Seiten.

„Das deutsche Kind“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15

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