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Fake-Meldung: Terror im kalifornischen Kaff

Geiselnahme, Bomben, Selbstmordattentat - alles nur ein Fake. Wie ein deutscher Regisseur mit Hilfe der "Berlin Boys" die Medienwelt aufmischen wollte.

Von Markus Hesselmann

Huge Scandal! Das schreibt der angebliche Fernsehsender K-VPK auf seiner Website. Stundenlang hatte der Sender des Örtchens Bluewater in Kalifornien ein Video auf der Seite, von einer Geiselnahme, einem Terroranschlag sogar, der keiner war. Nun fühlt sich der Sender scheinbar hereingelegt. Und zwar von den "Berlin Boys", deutschen Rappern, die das ganze inszeniert haben sollen. "Sie wollten nur die Aufmerksamkeit der Medien!" steht nun auf der Seite des Senders zu lesen. Und die Aufmerksamkeit hatten sie. Auch unsere, wenn auch nur für kurze Zeit.

Das Video von der angeblichen Geiselnahme verbreitet sich schnell, der Puls in der Redaktion steigt. Geiselnahme, Terroranschlag - da müssen wir ran an das Thema. Doch was ist das? Die Qualität des Videos der Fernsehcrew ist nicht professionell, die Moderatorin ist gelinde gesagt furchtbar. Auch die Website ist eher dünn. Sollte das alles ein Streich sein? Ist der Fernsehsender womöglich Teil des Ganzen? Und wo ist überhaupt Bluewater? Aha, es liegt in San Bernardino County, in der Mitte von Nirgendwo und hat rund 300 Einwohner. Ein Terroranschlag in so einem Kaff?

Polizeisirenen, ein atemloser Augenzeuge

Doch da ist noch der Augenzeuge, ein Deutscher, der nach eigenen Angaben in Bluewater lebt und sich bei uns gemeldet hat. Wir rufen zurück, im Hintergrund sind Polizeisirenen zu hören, aufgeregte Stimmen. Der Zeuge klingt atemlos. Alles sei gesperrt, keine Informationen seien zu bekommen.

Also doch eine Nachricht? Die Meldung wird geschrieben. In jedem Satz ein "sollen", "nach Angaben", "nicht bestätigt". Es soll schnell gehen, aber die Zweifel bleiben. Eigentlich ist das keine Meldung, die Quellen wirken nicht glaubwürdig. Immer wieder läuft das Video, die Qualität wird nicht besser, die Diskussion intensiver. Dann kommt die Deutsche Presse-Agentur mit der Geschichte raus. Also, hoch damit! Nein! Doch! Zurück, das kann nicht echt sein!

Die Agentur bringt einen Feuerwehrmann, der die "Explosionen" in der "Artisan Bar" bestätigt. Jetzt? Vielleicht? Erneut wird entschieden zu warten und nur Minuten später Erleichterung. Einen Anschlag gab es nicht, auch keine Geiselnahme, so viel ist jedenfalls klar. Es war alles ein Witz. Das war knapp. Gleich bei Google News checken - andere Redaktionen waren weniger vorsichtig.

Arabischstämmige Täter

Dass von der angeblichen Fernsehstation zitierte Augenzeugen in Bluewater die vermeintlichen "Berlin Boys" mit ihren angemalten Gesichtern gleich als arabischstämmig identifizierten, ist ein interessantes Detail. Falls denn die Zeugen überhaupt echt waren.

Wo fängt dieser Streich an, wo hört er auf? Existiert der Fernsehsender überhaupt? Das Programm ist jeden Tag dasselbe: News, Backen, Kochen, News. Hin und wieder wird ein anderer Teil gefettet. Als Show/Programmhighlight ein Apfelkuchenrezept. Alles sehr schräg, aber wer weiß, was in der amerikanischen Provinz so geht.  Der Wikipediaeintrag: Ein Witz. Und doch, Twitterer, die angeblich vor Ort sind, zitieren den Sender und regen sich auf. Und unser Augenzeuge behauptet auf unsere erneute Nachfrage, für den Sender zu arbeiten. Wir fragen ihn direkt, ob er Teil des Streichs ist: Neinnein, es sei ihm und seinen Kollegen sehr peinlich, so übers Ohr gehauen worden zu sein. Wir wollen den Chef vom Ganzen sprechen. Auch er schimpft auf die Berlin Boys. Frage auch an ihn: Sind Sie Teil des Streichs? Auf keinen Fall. Und jetzt habe er zu tun, denn er bekomme derzeit Anrufe aus aller Welt.

Was braucht man, um die Medien auf sich aufmerksam zu machen? Eine nicht mal professionell gebaute Website, ein Video, ein paar Twitterer, die sich über das Ganze unterhalten. Und ein paar Bombenattrappen, um ein kalifornisches Nest lahmzulegen? Berliner Rappern ist viel zuzutrauen, wenn sie Promotion für sich selbst betreiben wollen. Da gab es ja schon die eine oder andere entsprechende Geschichte. Von dieser Geschichte hier haben wir uns zum Glück rechtzeitig als Nachricht verabschiedet und dann beschlossen, für unsere Leser lieber dieses kleine Lehrstück hier über Glaubwürdigkeit im Internet aufzuschreiben.

Unser Argwohn ist berechtigt

Die "Behörden" kündigen derweil ein hartes Vorgehen gegen die inzwischen angeblich festgenommen Rapper an, so zumindest der Fernsehsender, der, wie sich letztendlich zeigt, tatsächlich keiner ist. Der Argwohn war also berechtigt. Doch nicht nur die Website des Senders war gefälscht, auch die Internetauftritte des Orts Bluewater wurden laut dpa erst am 29. Juni registriert. Unter den dort angegebenen Nummern von Polizei und Feuerwehr gingen aber offenbar an der Aktion Beteiligte ans Telefon, die gegenüber der Agentur den Vorfall bestätigten. Erst die Nachfrage eine Ebene höher ergab, dass dort niemand etwas von einer Geiselnahme wusste. Gefälscht wurde übrigens auch der Wikipedia-Eintrag der auf die angebliche Seite der Stadt verweist.

Inzwischen hat der deutsche Regisseur Jan Henrik Stahlberg sich zu dem Streich bekannt. Weder den Sender noch die Kleinstadt gebe es, erklärte der Regisseur nun am Donnerstag. Auch die Berlin Boys, die dem angeblichen Sender zufolge einen Selbstmordüberfall in einem Restaurant vorgetäuscht hatten, existierten nicht. Sie stammten wie alle anderen Details der Fälschung aus Stahlbergs Film "Short Cut To Hollywood".

Und wir in der Redaktion erwarten das nächste große Ereignis, das womöglich keins ist. Der Puls wird jedes Mal aufs Neue steigen, die Zweifel mit dem Drang nach Schnelligkeit kämpfen. Wenn wir nämlich aus Vorsicht eine echte Meldung nicht brächten - was wäre das für ein Huge Scandal!

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