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Zerzaust.  LKA-Ermittlerin Lotte Jäger (Silke Bodenbender) ist mal wieder durch den Wind. Was an der schwierigen Ermittlung und an ihrem seelischen Handicap liegt.

© ZDF und Hardy Brackmann

ZDF-Krimi: Panikattacken in Brandenburg

"Lotte Jäger und die Tote im Dorf": ZDF-Krimi mit Silke Bodenbender setzt ein ganzes Dorf unter Mordverdacht.

Lotte Jäger kann noch nicht im Gedächtnis der ZDF-Zuschauer gespeichert sein. Die Oberkommissarin hat erst einmal ermittelt, im September 2016, in der Krimi-Flut war das vor Ewigkeiten. Oder ist sie doch präsent, weil Lotte Jäger (Silke Bodenbender) als Sonderermittlerin in der Potsdamer Mordkommission für ungelöst Altfälle arbeitet? „Cold Cases“, abgelegt am Archiv und doch nur zwischengelagert, Mord verjährt nie. Also auch der Fall Manuela Kirschner, die 2001 einem brutalen Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Damals fahndete Hauptkommissar Konrad Dahlke (Hansjürgen Hürrig) unter den Bewohnern des brandenburgischen Dorfes Großlühne, er vermutete einen Sexualmord, begangen nach der Aufstiegsfeier des dortigen Fußballvereins SV Grün Weiß. 16 Jahre später bekommt der mittlerweile pensionierte Dahlke das verschwundene Video von der Feier zugeschickt, anonym, aber klar ist, dass ein Dorfbewohner die Polizei zur Wiederaufnahme motivieren will.

Das geschieht, Dahlkes ehemaliger Kollege Kurt Schaake (Sebastian Hülk) und Lotte Jäger übernehmen. Rechercheprofi Schaake bleibt im Aktenkeller, Jäger fährt nach Großlühne. Gesprächiger geworden sind die Bewohner nicht, gewachsen sind Misstrauen, Missgunst, die Beziehungen und Verhältnisse wirken zerrüttet. Die Verdrängung hat die Dämonen von einst scheinbar vertrieben. Einem/Einer passt das nicht, er hat das Video rausgeholt und zur Mordkommission geschickt. Verzweifelt, verbittert, weil der Mörder unentdeckt und unbeirrt unter ihnen leben kann. Seine Perspektive heißt Vergangenheit, wo die anderen sich in neue Verhältnisse hineinarrangiert haben. So eine Tat, so ein Zustand, so ein Leben kennt auch Gewinner.

Erkundungen im Pampas-Kosmos

Lotte Jäger quartiert sich ein, gemeinsam mit ihr geht der Zuschauer auf Erkundungstour in diesem Pampas-Kosmos, in dem nichts mehr so ist, wie es mal war. Geblieben sind sie alle, der Gastwirt Kurt Höller (Alexander Hörbe), der damalige Hauptverdächtige Tom Riebe (Sergej Moya) oder der Flugzeugmechaniker Grasso (Christoph Letkowski) und der ganze große Rest. Autor Rolf Basedow führt Lotte Jäger schier in ein Personenkabinett, nicht immer ist die Gefahr gebannt, dass der Zuschauer den Überblick verliert und jeweilige Person und jeweilige Biographie nicht akkurat zusammenbringt. Da fehlt die Vertiefung zugunsten des Tableaus vom Großverdacht in Großlühne.

Zumal der Verdacht heraufkommt, dass die Ehefrau des Gastwirtes Holler nicht durch eigenes Verschulden gegen einen Baum und zu Tode gerast ist. Die ermordete Manuela Kirscher (Nellie Thalbach) und Frau Holler zogen erfolgreich und zum Ärger einiger Bewohner gegen eine Windkraftanlage zu Felde, außerdem weitet sich der Motivhorizont auf eine längst verschwundene Mülldeponie, von der unter der Hand einige Großlühnener profitierten. War der Mord von 2001 vielleicht keine Affekttat, sondern Teil eines lokalpolitischen Komplotts? Die Ethnologie von Brandenburg nach der Wende bekommt ihren Part.

Klingt nach proppenvollem und zugleich herkömmlichem Ermittlerkrimi. Ist „Lotte Jäger und die Tote im Dorf“ freilich nicht. Die Einzelkämpferin, Stubenhocker Schaake kommt erst später, dann aber entscheidend ins Spiel, hat ein Handicap. Sie ist seelisch und psychisch angeschlagen, nimmt (offenbar zu viele) Tabletten gegen ihre Angststörungen. Das hatte sich der Krimi schon in der Auftaktfolge als „Vorteil“ genommen. Im neuen Fall ist es insbesondere die visuelle Integration des Jägerschen Handicaps, die den Zuschauer in akute Spannung versetzt. Jäger „angststört“ sich in bedrohliche Situationen, zumal in der Mordnacht. Ihre Aussetzer bestimmen die Tonalität des Films. Kamerafrau Bella Halben rückt der Kommissarin immer wieder mit Großeinstellungen zu Leibe, suggestiv werden die Stimmungschwankungen visualisiert. Die Psyche der Lotte Jäger wird von der ausgezeichneten Silke Bodenbender kapitalisiert, sensationalisiert werden sie nicht. Dieser Kriminalfilm bekommt eine eigene Filmsprache.

Sensationelles Finale

Regisseurin Franzika Meletzky hat erkennbar mehr als ein Händchen für die Attraktion von Hauptdarstellerin Bodenbender und der Ambiguität ihrer Kommissarin. Und sie achtet sehr darauf, dass der Spannungsbogen im sehr beachtlich agierenden Ensemble nicht abfällt.

„Lotte Jäger und die Tote im Dorf“ verlangt dem Publikum nicht wenig an lohnender Konzentration und gewinnbringender Anstrengung ab. Sollte ein Zuschauer wirklich ans Aussteigen denken, der sei gewarnt: Das Finale bietet eine Überraschung, wie sie Brandenburg nur ganz selten zu bieten hat!

„Lotte Jäger und die Tote im Dorf“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15

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