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© May-Britt Franzen für den Tagesspiegel

Altersdiskriminierung in der alternden Gesellschaft: Wo bleibt das Problembewusstsein?

Der Fachkräftemangel ändert gerade den Blick auf ältere Arbeitsfähige. Aber die sind nicht die einzigen, die wegen ihres Alters eine Sonderbehandlung erfahren.

Am vergangenen Mittwoch verkündete das Frankfurter Landgericht ein außergewöhnliches Urteil: 48.500 Euro stünden dem Bundesliga-Schiedsrichter Manuel Gräfe zu, weil der mit 47 Jahren nicht mehr weiter pfeifen durfte.

Gräfe hatte den Deutschen Fußballbund wegen Altersdiskriminierung verklagt. Es ging ihm darum, festzuhalten, dass das Alter der Grund für sein erzwungenes Ausscheiden war, was der DFB um keinen Preis zuzugeben bereit war.

Aber Gräfe wollte einem Problem die Tarnkappe herunterreißen - und in der Tat: Es müsse gar keine schriftlich fixierte Regel geben, befand der Frankfurter Richter: Eine gängige Praxis von tätiger Altersdiskriminierung reiche als Beleg dafür aus, dass Altersdiskriminierung vorliegt. Fixieren ließ sich stattdessen, dass der DFB in den vergangenen Jahrzehnten keinen einzigen Schiedsrichter jenseits der 47 beschäftigt hat.

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Diskriminierung aufgrund von Alter gilt als die häufigste in Deutschland und wird in repräsentativen Umfragen am meisten genannt. Das sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman. Trotzdem werde in der Öffentlichkeit kaum darüber diskutiert, stellt sie fest und weist noch auf etwas Weiteres hin: Das Problem betreffe keineswegs nur das „ältere Alter“, sondern jedes.

Man muss nicht lange nachdenken, um zu sehen: Alter hat jeder und immer ist es irgendwann falsch. Es ist eine Peitsche, die überraschenderweise in alle Richtungen schlägt: zu alt, zu jung, zu mittendrin. Und so lernen im Laufe ihres Lebens alle Jahre kennen, in denen sie altersbedingt aussortiert werden. Sei es beim Wählen, beim Kreditantrag, oder wenn sie einfach so eine neue Sportart beginnen wollen („erst nach Rücksprache mit Ihrem Hausarzt!“).

Und was genau bedeutet unter Benachteiligungskriterien etwa die Einordnung junger Autofahrer pauschal aufgrund ihres Alters in eine kostspielige Versicherungskategorie, weil man voraussetzt, dass jüngere Leute unfallträchtiger fahren? Ist die Empirie für eine ganze Gruppe automatisch eine Diskriminierung für die Einzelnen?

Es werden Millionen Ältere von der Grundsicherung leben müssen. Das alleine ist vielleicht noch keine Diskriminierung, diskriminierend ist aber die Alternativlosigkeit davon - und das auch nach einem vollen Erwerbsleben.

Schreibt Community-Mitglied provinzler

Frauen scheinen ganz besonders lange das falsche Alter zu haben: Sie sind oft so lange zu jung für verantwortungsvolle Jobs, wie sie Kinder kriegen können. Was dann fast nahtlos in das andere falsche Alter – zu alt! – übergeht. Über diese Schwelle können auch Männer lange nachdenken, wenn sie in einigen Branchen schon ab 50 als unvermittelbar gelten, aber noch viele Jahre viel zu jung sein werden für die Rente.  

Wenn alte Ältere über ihre Diskriminierung sprechen, meinen sie meist die alltägliche Geringschätzung, die sie erleben, wenn ihnen niemand zuhören will, die Ungeduld, die ihnen entgegenschlägt, wenn sie das hektische Tempo in der Kassenschlange, beim Ein- oder Aussteigen in Bus und Bahn nicht halten. Aber es geht viel tiefer.

Eine aktuelle Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt, wie starr noch immer die Stereotype sind: Ein Drittel der dafür Befragten fand, dass Ältere „Platz machen“ sollten für Jüngere. 53 Prozent glauben, ältere Menschen trügen nicht entscheidend zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Und 56 Prozent unterschreiben pauschal die Aussage „Die meisten alten Menschen können sich nicht mehr auf Veränderungen einstellen und sind daher Jüngeren unterlegen.“

Was man früher an den Jungen schätzte, erfüllt die Gen Z nicht mehr

Dass nun die Politik das Thema entdeckt, liegt vor allem am Arbeitsmarkt, auf dem wohl auch wegen des diskriminierenden Umfelds Arbeitskräfte fehlen. Irrsinnig, geradezu selbstzerstörerisch, erscheint diese Haltung in einer alternden Gesellschaft, der absehbar die Fachleute ausgehen. Zumal heute viele der Prämissen, die dafür sorgten, dass man Ältere nicht mehr wollte, gar nicht mehr gelten.

Lange gingen Arbeitgeber davon aus, dass junge Leute formbarer, beeinflussbarer, kurz: hungriger seien als die Älteren, weshalb man lieber sie einstellen wollte (billiger sind sie natürlich noch dazu). Aber schon bei den Millennials trifft das nicht mehr zu. Zum Entsetzen der Arbeitgeber verlangen die nach Teilzeit, Home-Office, Elternzeit, Sabbaticals und Work-Life-Balance. Viele vermeiden Verantwortung und wollen gar keine Karriere.

Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können.

Bundeskanzler Olaf Scholz

Olaf Scholz wandte sich im Dezember deshalb an die älteren Arbeitnehmer und beklagte, dass zu viele Menschen von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich in den vorzeitigen Ruhestand zu verabschieden. „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können“, sagte ausgerechnet jener Bundeskanzler, dessen Partei die Möglichkeit zur abschlagsfreien Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren doch erst geschaffen hat. So beliebt ist die SPD-Errungenschaft nun, dass 2021 jede dritte Rente auf dieser Grundlage beantragt wurde.

Denn es ist kein Wunder, dass die Leute, denen man jahrelang einredet, sie sollten bitte Platz machen für Jüngere, lieber genüsslich mit 63 Jahren in den Ruhestand gehen, als sich weiter am Arbeitsmarkt ihr Alter vorhalten zu lassen. Zumal das oft problemlos möglich ist: Sie werden erst einmal die letzte Generation sein, deren Renten so üppig ausfallen, dass sie sich das auch leisten kann. Viele Renten sind höher als volle Arbeitsgehälter der Generation Praktikum.

Bleibt die Frage, warum die Altersdiskriminierung so ein umfassend undiskutiertes Thema ist. Vielleicht, weil alle so daran gewöhnt sind, Dinge nach Alter zu unterscheiden, sich schon Kinder brav nach Altersgruppen aufstellen. Und das bleibt dann so und wird als ganz natürlich angesehen: von der KFZ-Versicherung bis zur Rente. Weil ja wohl kaum diskriminierend sein kann, was doch für alle so normal ist, oder?

Und es ist ja auch niemand da, der alterslos von außen darauf blicken und diese Gepflogenheiten komisch finden kann, weil es in diesem Fall kein Außen gibt. Alter haben alle. Es kommt gerade den ersten in den Sinn, dass man daran trotzdem etwas ändern könnte.

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