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Ein Mann hält eine Regenbogenfahne als Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung.

© dpa

Debatte über Sexuelle Vielfalt: Wer Akzeptanz in Frage stellt, ist für Diskriminierung

Sexuelle Vielfalt akzeptieren? Klingt gut. Wer genauer hinsieht, denkt noch mal darüber nach, schrieb unser Redakteur Malte Lehming in einem Kommentar zu Lehrplan-Diskussionen in Baden-Württemberg. Tilmann Weickmann, Geschäftsführer des Landesjugendring Berlin, sieht hier ein grundlegendes Missverständnis.

Am 12.Januar veröffentlichte Malte Lehming seine Meinung zur Debatte um die sexuelle Vielfalt. Unter der Überschrift „Was geht, wenn alles geht“ beschrieb er ausführlich seine Sorgen und Ängste. Der Landesjugendring Berlin will auf ein grundlegendes Missverständnis aufmerksam machen, welches dem Beitrag zugrunde liegt: Malte Lehming kritisiert die begriffliche Unschärfe in der Diskussion und trägt aber selbst massiv zu deren Herstellung bei. Seinem Kommentar liegt eine „gängige Definition“ zugrunde, wie er selbst schreibt, nach der „alle Formen von Sexualität“ gemeint sind - ohne genauer zu sagen, woher diese Definition stammt und warum ausgerechnet diese heranzogen wurde.

Sowohl andere Kollegen aus dem Tagesspiegel in dem Text "Wieso ist der Lehrplan so umstritten?" als auch der baden-württembergische Lehrplan schreiben aber sehr genau, was gemeint ist: Die „Lebenssituation von LSBTTI-Menschen (Gruppe der lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender und intersexuellen Menschen)“, konkret geht es dabei um „Menschenrechte und Diskriminierung“, nicht um deren sexuelle Praktiken.

Den Beitrag als harmlose Meinungsäußerung stehen zu lassen, ist in mehrfacher Hinsicht grundsätzlich schwierig:

Erstens ist das Einbeziehen „aller Formen von Sexualität“ in diesem Zusammenhang schlichtweg falsch. Es geht vielmehr um die Frage, ob es haltbar ist, die Welt in Männer und Frauen zu teilen – oder ob dieses zweigeschlechtliche Denken überholt ist.

Zweitens ist Homophobie kein ‚böses Wort‘, sondern leider für viele Menschen Realität: Die Einen praktizieren Homophobie (sie geben ihrer Angst vor Homosexualität öffentlich Raum indem sie sich abgrenzen) – die Anderen erleben Homophobie (sie werden beispielsweise - wie auch in der Petition gegen den baden-württembergischen Lehrplan - mit Aussagen konfrontiert, dass Homosexualität zu Alkoholismus führe).

Nichtakzeptanz heißt Ausgrenzung, Verfolgung und Verbot

Drittens ist der Schluss des Artikels („Sexuelle Vielfalt akzeptieren? Klingt gut. Wer genauer hinsieht, denkt noch mal darüber nach.“) mindestens hart an der Grenze, wenn nicht sogar grenzüberschreitend. Indem er eine Akzeptanz sexueller Vielfalt in Frage stellt, plädiert er indirekt für eine Nichtakzeptanz – und das heißt dann ja wohl Ausgrenzung, Verfolgung und Verbot „abweichender“ sexueller Identitätskonstruktionen.

Immer wieder erleben wir in unseren Seminaren und in der Auseinandersetzung mit dem Thema, wie sehr wir in unseren eigenen Ängsten gefangen sind: So genannte  Meinungsäußerungen sind oft Ausdruck einer unreflektierten Angst vor Lebensentwürfen und -realitäten, die sich von den eigenen Lebensentwürfen unterscheiden. Ausdruck einer Angst, die sichere Basis der eigenen normativen Weltanschauung zu verlassen. Es geht also gar nicht um die Angst vor anderen Identitäten – sondern um die Unsicherheit bezüglich der eigenen Identität.

Wir sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, jungen Menschen die Vielfalt der Möglichkeiten aufzuzeigen und ihnen beizubringen mit dieser Vielfalt und den Freiräumen umzugehen, anstatt sie vermeintlich zu schützen vor etwas, was ihnen als solches vielleicht gar keine Angst macht.

Im Praxishandbuch für die Ausbildung der JugendleiterInnen des Landesjugendring Berlin gibt es entsprechend auch ein Modul zur Thematisierung sexueller Vielfalt in der Gruppe. Dort heißt es in der Einleitung: „In diesem Fortbildungsmodul geht es darum, das Thema sexuelle Vielfalt in die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu integrieren und aktiv gegen Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität vorzugehen. Der Begriff „sexuelle Vielfalt“ steht für die Vielfalt von Lebensformen, sexuellen Orientierungen, Geschlechtsidentitäten und Geschlechterinszenierungen, er bezieht sich also nicht auf Sexualität oder Sexualpraktiken sondern auf Identität und Lebensform.“ Als Landesjugendring betrachten wir aktives Eintreten gegen Diskriminierung (auch aufgrund der sexuellen Identität) als selbstverständlich.

Beiträge wie der von Malte Lehming tragen hingegen leider eher zu Diskriminierung bei.

Der Landesjugendring Berlin ist der Zusammenschluss von 33 Berliner Jugendverbänden. Er setzt sich für Mitbestimmung, Selbstorganisation und ehrenamtliches Engagement junger Menschen ein.

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