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Asylbewerber Omar Ceesay bereitet sich in einer schwäbischen Tischlerei auf seine Ausbildung vor.

© dpa/Felix Kästle

Arbeit für Asylsuchende: Deutschland steht sich selbst im Weg

Nach Friedrich Merz’ Zahnarztalarm meldet sich, klar, Bayern: Söder will Schutzsuchende zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Dabei gäbe es genug andere Arbeit – die sie oft nicht bekommen.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Wenn man sich auf etwas verlassen kann in Deutschland – auf die Bahn ja schon lange nicht mehr – dann darauf: Um Migration werden stets Phantomdebatten geführt, jedenfalls im Plenum der Parlamente und auf Titelseiten. Wenn es um die Fremden geht, die Andern, die „uns“ angeblich überrollen und „überfremden“, ist das postfaktische Zeitalter schon vor Jahrzehnten angebrochen.

Ein paar Beispiele? Es sind nicht Pullfaktoren, wie immer wieder behauptet, die Flüchtlingszahlen nach oben treiben – die Attraktivität Europas zum Beispiel – sondern die Pushfaktoren Elend, Gewalt, Hunger. Und das Gros der Menschen, die hierherkommen, lässt sich eben nicht begeistert in einer Erstaufnahme parken, sondern würde nur zu gern arbeiten.

Mit jeder großen Migrationsbewegung noch wurde jeweils das Ende Deutschlands an die Wand gemalt, und doch wird gerade die bisher größte, die aus der Ukraine, praktisch geräuschlos bewältigt. Das ist deutsche Realität, alles in x Studien belegt, die Liste ließe sich fortsetzen. Aber ein Vorurteil ist nun einmal, wie wir seit Einstein wissen, schwerer zu spalten als ein Atomkern.

Der Oppositionsführer spricht, kein AfD-Provinzfürst

Weshalb Friedrich Merz für seine unsägliche Zahnarztnummer auch noch Beifall bekommt statt Post von der Staatsanwaltschaft. Falsche Tatsachen, falsche Zahlen auf Kosten ohnedies am Rande stehender Menschen, das Ganze vom Oppositionsführer, nicht von einem Provinzfürsten der AfD: Wenn das kein Straftatbestand ist, Volksverhetzung zum Beispiel, dann ist es auf jeden Fall eins: niederträchtig.

Und es befeuert den Siegeszug der extremen Rechten, weil es ihren Behauptungen Legitimität verleiht. Auch so ein bis zum Überdruss widerlegtes Theorem: Man müsse sich ihrer Themen an- und sie ihnen damit wegnehmen. Tatsächlich werden ihre Themen und Fake News erst bedeutend, wenn demokratisch unverdächtige Politiker:innen sie übernehmen.  

28
Prozent der Ukrainer:innen waren ein Jahr nach ihrer Flucht bereits in Arbeit.

Die jüngste Spiegelfechterei dreht sich, wieder einmal, um Asyl und Arbeit. Nein, in Wirklichkeit geht es darum gar nicht, sondern um die bevorstehenden Wahlen in Hessen und Bayern. Dafür hat der Kanzler seiner Parteifreundin, Innenministerin und hessischen SPD-Spitzenkandidaten Nancy Faeser schon ein schönes Machtwort spendiert – die Grünen müssen noch schärfere EU-Asylregeln schlucken – und Markus Söder, in Panik wegen historischer Umfrage-Tiefstände seiner CSU, fordert jetzt Arbeitspflicht für Asylbewerber.

Deutschland braucht keinen Zwang zur Arbeit

Den Beifall derer, die Lösungen für desto sachdienlicher halten, je autoritärer sie sind, hat er sicher. Nur hat Söder sein Rendezvous mit der Wirklichkeit verpasst. Deutschland braucht keine neuen Zwangsarbeiter, sondern dringend solche, die für ihre Arbeit anständig bezahlt werden. Heizungsbauerinnen, Krankenschwestern, Ärzte, Busfahrer, Müllwerkerinnen – an allen fehlt es.

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Wie viele unbesetzte Stellen es im ersten Arbeitsmarkt gibt, könnte Söder in jeder zweiten Presseerklärung der Arbeitgeberverbände nachlesen. Nicht zufällig ist der Städte- und Gemeindebund, der sicher nichts dagegen hätte, die kommunalen Parks billig instand halten zu lassen, alles andere als begeistert von Söders Gemeinnutz-Plädoyer. Er fürchtet schlicht den Verwaltungsaufwand dafür.

13
Jahre alt ist das Gesetz, das die Anerkennung ausländischer Abschlüsse erleichtern sollte. Doch es gibt nur ein Recht auf Prüfung dieser Abschlüsse.

In Söders Heimat Franken ist ein anderer Text entstanden, der seinen Realitätssinn schärfen könnte, sollte er dies wollen: In nur einem Jahr nach ihrer Ankunft, so die noch ganz frische Studie der Forscher:innen der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, sind bereits 28 Prozent der geflüchteten Ukrainer:innen in Arbeit. Obwohl die meisten Frauen sind und viele von ihnen kleine Kinder zu versorgen haben, absolvieren 60 Prozent Sprachkurse.

Prognose des Forschungsteams: Sie werden sich schneller integrieren und ihre Einkommen rasch steigern können. Für die aus Nahost und Afghanistan stammenden Geflüchteten hat das Team der Bundesagentur in den vergangenen Jahren ebenfalls ermutigende steigende Zahlen der Erwerbsbeteiligung nachgewiesen.

Ausländische Abschlüsse gelten nicht

Was Deutschland tatsächlich tun sollte, knallt in Talkshows nicht so schön und wird daher fast ausschließlich in Fachkreisen diskutiert: Bürokratie abbauen – und systemischen Rassismus. Er verletzt nicht nur Menschen, was schlimm genug wäre, er schadet auch der deutschen Wirtschaft:

Da werden trotz eines 13 Jahre alten Gesetzes ausländische Abschlüsse immer noch nicht anerkannt, Fachleuten verweigert man Visa oder vermutet hinter jedem Arbeitsvertrag eine Fälschung.

Und als Faesers Vorgänger Horst Seehofer 2018 zufrieden die Abschiebung von 69 afghanischen Männern „an meinem 69. Geburtstag“ verkündete, rauften sich in Bayern mehrere Arbeitgeber die Haare: Für Seehofers Geburtstagsgeschenk hatte man ihnen geschätzte Mitarbeiter, teils kurz vor Schichtbeginn, aus dem Bett geholt und in den Abschiebeflieger gezwungen.

Deutschland sollte endlich seine Hausaufgaben machen. Aber Sprüche klopfen und auf Schwächere eintreten, macht offensichtlich mehr Spaß.

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