Meinung: Arbeitsmarkt: Viel Hilfe für wenige
Fast vier Millionen Arbeitslose hat Deutschland. Das ist die schlechte Nachricht.
Fast vier Millionen Arbeitslose hat Deutschland. Das ist die schlechte Nachricht. Aber es gibt auch eine gute: Die Politik tut jetzt was! Die Grünen haben ein Acht-Punkte-Programm erfunden, mit dem sie der Arbeitslosigkeit zu Leibe rücken wollen. Dafür fordern sie eine halbe Milliarde Euro. Und der Kanzler will mit Arbeitgebern und Gewerkschaften ein Bündnis für den Niedriglohn schmieden: Plus- und Kombilöhne will er spendieren, Kindergeldzuschüsse und Arbeitgebersubventionen verteilen, Sozialversicherungsbeiträge von Schlechtverdienern übernehmen, Zuverdienste ermöglichen. Die geplanten Maßnahmen hören sich nach viel an. Und sie werden auch viel helfen. Sie werden nur nicht vielen helfen.
Alle bisherigen Versuche mit Niedriglohnbereichen zeigen: Sie funktionieren. Dann, wenn sie auf den Einzelfall zugeschnitten sind, wenn diejenigen, die daran teilnehmen, sorgfältig ausgesucht und vorbereitet werden - und wenn man nicht auf schnelle Erfolge in wenigen Wochen setzt. Gute Programme für schlecht ausgebildete Arbeitnehmer brauchen Zeit. Und es sind keine Massenprogramme.
Den Beschäftigten muss oft erst einmal klar gemacht werden, dass Arbeit mit Zuschüssen vom Staat besser ist als Sozial- oder Arbeitslosenhilfe ohne Arbeit. Es müssen Betreuer gefunden werden - und Unternehmen, die mit diesen Beschäftigten arbeiten wollen.
Die Erwartungen müssen realistisch werden: Wenn ein Viertel der Teilnehmer an einem solchen Programm hinterher tatsächlich einen Job ohne Zuschüsse hat, dann gilt das unter Arbeitsmarktexperten als gute Quote. Das ist keine Mäkelei an dem Plan, jetzt endlich mit dem Niedrig- und Kombilohn auch in Deutschland flächendeckend anzufangen. Das ist überfällig.
Doch ein paar Monate vor den Wahlen sollte den Betroffenen auch gesagt werden, dass nur wenige von ihnen für diese Programme in Frage kommen. Arbeitslose Bauarbeiter beispielsweise werden nie im unterstützten Niedriglohnbereich arbeiten können - sie bekommen zu viel Arbeitslosengeld, als dass sie als Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen zufrieden wären, auch wenn der Job bezuschusst würde. Ältere Arbeitnehmer werden im Niedriglohnsektor ebenfalls kaum ein breites Beschäftigungsfeld finden: Die Arbeiten, die es dort zu verteilen gibt, sind oft harte körperliche Jobs, denen ältere Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Problemen nicht gewachsen sind.
Subventionierte Niedriglöhne helfen vor allem jungen Arbeitslosen, die schlecht ausgebildet sind. Viele von ihnen werden durch das Bezuschussen von Arbeit tatsächlich in die Lage versetzt, hinterher auf eigenen Füßen zu stehen. Das allein zeigt, wie nötig ein Niedriglohnbereich ist. Nur, was macht man mit den anderen? Die müssen sich nach dem Willen der Bundesregierung jetzt erst einmal mit dem Bescheid zufrieden geben, dass sich Sozialdemokraten und Grüne nach den Wahlen um sie kümmern werden. Weil es dann eine große Reform auf dem Arbeitsmarkt geben soll.
Auf die sind wir ehrlich gespannt. Denn bisher hat die Bundesregierung nicht bewiesen, dass sie bereit ist, zwischendurch auch einmal gegen den Willen ihrer Wähler auf dem Arbeitsmarkt oder im Gesundheitswesen zu reformieren. Das müsste sie aber. Das Programm der Grünen zum Beispiel liest sich ja ganz prima. Es muss sich nur noch jemand finden, der es auch umsetzt. Der den Gewerkschaften klar macht, dass es in den nächsten vier Jahren nicht um die Arbeitsplatzbesitzer geht, sondern um die Arbeitslosen. Der das Sozialgesetzbuch aufräumt. Der erklären könnte, warum ein Teil der Gesetze, die die Bundesregierung gerade in Kraft gesetzt hat, jetzt wieder einkassiert wird - zum Beispiel wenn, wie von den Grünen jetzt gefordert, die Kinderbetreuungskosten wieder steuerlich begünstigt werden sollen, nachdem die Steuervorteile gerade erst gestrichen wurden.
Aber das wird sicher einfach. Nach der Wahl. Solange werden die Arbeitslosen schon noch warten können. Der Kanzler, sein Arbeitsminister und die reformfreudigen Grünen sitzen nicht erst seit gestern in der Bundesregierung. Warum also kommen sie erst jetzt auf die Idee zu reformieren und große Pläne zu schmieden?