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Meinung: Attacke der Realität

Der Erfolg der Globalisierungsgegner wird zum Problem – weil einer der ihren Präsident wurde. Jetzt heißt es: Kompromisse schließen

Von Dagmar Dehmer

Nichts ist schlimmer als der Erfolg. Diese Spruchweisheit der sozialen Bewegungen hat nun auch die Globalisierungskritiker erwischt. Ihr Weltsozialforum wird im dritten Jahr des Bestehens von 100 000 Globalisierungsgegnern aus aller Welt gestürmt. Und keine vier Jahre nach der Geburt der Bewegung vor den Toren des gescheiterten Weltwirtschaftsgipfels in Seattle ist einer der ihren schon Präsident. Seit dem 1. Januar regiert Luiz Inacio Lula da Silva in Brasilien – einer der Stars der Anti-Globalisierungsbewegung. Dass er gleich nach seiner Rede beim Weltsozialforum in Porto Alegre zum Weltwirtschaftsforum in Davos weiterreist, stürzt viele Globalisierungskritiker in echte Identitätsprobleme. Schließlich ist das Weltsozialforum als Gegenveranstaltung zum Davoser Gipfel gegründet worden.

Jetzt tritt offen zu Tage, was sich schon im vergangenen Jahr andeutete: die Ausdifferenzierung der Bewegung. Die Globalisierungskritiker können nicht mehr verbergen, dass Kleinbauernkooperativen, die um ihr Saatgut kämpfen, Globalisierungsgegner wie der französische Bauern-Aktivist Bové oder christliche Entschuldungsinitiativen eben nicht das Gleiche wollen. In der Kritik an den ungerechten Folgen der Globalisierung waren sie vereint. Doch nun, da viele Nichtregierungsorganisationen verlangen, nach Lösungen zu suchen, zeigen sich die Unterschiede.

Viele sind enttäuscht, dass Lula nicht vorhat, den Kampf mit dem Internationalen Währungsfonds sofort aufzunehmen. Statt sich mit den Kreditgebern anzulegen, wird Brasilien vorläufig brav seine Schulden bezahlen. Stattdessen wird Lula beim Feind, beim Weltwirtschaftsforum in Davos, die Ungerechtigkeit der Globalisierung zum Thema machen. So kommen die Themen der Kritiker auf die Tagesordnung der Regierungen.

Die Bewegung wird durch diesen Erfolg schwächer. Statt ihre Kräfte weiterhin auf den Kampf gegen die Globalisierung konzentrieren zu können, müssen sich die Gruppen und Grüppchen in Porto Alegre darüber verständigen, für welche Ziele sie sich künftig einsetzen wollen. Aber das ging noch jeder Bewegung so, sobald sie Erfolg hatte. Denn mit dieser Ausdifferenzierung wächst die Chance, dass ein Teil ihrer Forderungen tatsächlich umgesetzt werden. Vermutlich ist die Zeit für eine internationale Spekulationssteuer auf Devisengewinne – die Tobinsteuer, das große Thema von Attac – noch nicht reif. Aber eine Konvention der Vereinten Nationen, mit der sich globale Unternehmen auf ethische Regeln für ihre Investitionen im Ausland verpflichten lassen, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Schließlich hat der Ruf vieler Konzerne durch ihre Bilanzskandale und von ihnen gebilligte Menschenrechtsverletzungen gewaltig gelitten.

Dass die Wirtschaft ein Legitimationsproblem hat, ist auch den Konzernchefs in Davos bewusst. Dort hat schließlich auch UN- Generalsekretär Kofi Annan schon vor Jahren den Vorschlag gemacht, dass sich die Firmen zumindest freiwillig verpflichten, Menschenrechte einzuhalten und vor den Problemen ihrer Gastländer die Augen nicht zu verschließen. Die Grenzen zwischen denen da drinnen in Davos und denen da draußen in Porto Alegre beginnen zu verschwimmen. Damit wächst die Chance, dass aus Globalisierungskritik eine bessere Politik wird.

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