zum Hauptinhalt
Berlin wird wie Düsseldorf, befürchtet Kolumnist Harald Martenstein.

© dpa

Martensteins Sicht: Berlin wird wie Düsseldorf

Das einzige Kapital, das Berlin besitzt, ist sein Flair. Man muss sich vorstellen, in Wien würden sie aus Kostengründen die Fiaker durch Minibusse ersetzen. Genau so etwas passiert in Berlin. Damit stellt sich die politische Führung ein noch viel vernichtenderes Zeugnis aus als mit dem Flughafendesaster.

Berlin hat 44 000 Gaslaternen. Das gibt es in keiner anderen Stadt der Welt. Es hängt damit zusammen, dass in Berlin ein paar Jahrzehnte lang der Modernisierungsprozess stillstand. Auf diese Weise sind uns ein paar schöne alte Dinge erhalten und ein paar Verirrungen des Städtebaus erspart geblieben, und genau darauf beruht zu einem großen Teil die Anziehungskraft von Berlin. Es ist einmalig, es ist keine Stadt wie jede andere. Deshalb ziehen Leute von überall her, zum Beispiel ich, vor Jahrzehnten. Deshalb floriert der Tourismus, wenn schon sonst nichts floriert.

Jetzt sollen die Gaslaternen weg. Sie sollen durch formschöne Elektroleuchten ersetzt werden. Kaltes Licht statt warmes Licht. Funktionalität statt Romantik. Allerweltsdesign statt Geschichte. Der Tausch kostet viel Geld, aber angeblich ist es langfristig billiger. Dass eine Stadt, um Geld zu sparen, eines ihrer Wahrzeichen und einen Teil ihrer Unverwechselbarkeit beseitigt, ist eine Dummheit, die sich eigentlich nur mit dem Abriss des Stadtschlosses vergleichen lässt. Für den Abriss des Stadtschlosses gab es ideologische Gründe. Beim Abriss der Gaslaternen fällt einem als Grund wirklich nur Dummheit ein, falls, was man in Berlin immer als Möglichkeit in Erwägung ziehen muss, Korruption und Vetternwirtschaft keine Rolle spielen.

Warum schüttet man nicht den Landwehrkanal zu und errichtet auf dem gewonnenen Land Eigentumswohnungen? Langfristig würde sich das lohnen. Warum reißt man nicht das marode Brandenburger Tor ab, weil es ständig für Millionen restauriert werden muss, und errichtet einen pflegeleichten Neubau? Weil es idiotisch wäre.

Weil die Kalkulation nicht stimmt, es lohnt sich nämlich überhaupt nicht. Denn das einzige Kapital, das Berlin besitzt, ist sein Flair. Man muss sich vorstellen, in Paris würden die Antiquare am Ufer der Seine und die Flohmarktstände auf dem Montparnasse vertrieben werden, weil sich mit der Verpachtung an Textilgroßhändler mehr verdienen lässt. Man muss sich vorstellen, in Wien würden sie aus Kostengründen die Fiaker durch Minibusse ersetzen.

Ich finde, dass sich die Berliner politische Führung durch die Idee, ein Wahrzeichen abzureißen, nicht im Jahre 1950, sondern heute, ein noch viel vernichtenderes Zeugnis ausstellt als mit dem Flughafendesaster. Sie werden in Zukunft mit den Vernichtern des Stadtschlosses in einem Atemzug genannt werden.

Sie wollen offenbar Berlin Schritt für Schritt in ein großes Düsseldorf verwandeln. Das Schlimme ist: Den Abriss der Gaslaternen werden sie technisch vielleicht sogar hinbekommen. Es sei denn, ein Bürgeraufstand bricht los. Es sei denn, die Berliner kämpfen dafür, dass ihre Stadt einmalig bleibt, mit Szene, mit Freiräumen, mit Gaslaternen.

Lesen Sie hier: Den Bericht einer Berlinerin, die nach Düsseldorf zog - und jetzt Heimweh hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false