Meinung: Brauchen wir eine Frauenquote?
Zu Ihrem Artikel „Aufstieg nach Quote“ vom 31. Januar Die Unionsfrauen im Bundestag wollen eine Quote von 30 Prozent, die jedoch erst ab 2018 erreicht werden muss.
Zu Ihrem Artikel „Aufstieg nach Quote“
vom 31. Januar
Die Unionsfrauen im Bundestag wollen eine Quote von 30 Prozent, die jedoch erst ab 2018 erreicht werden muss. Worauf sollen wir noch warten? Das wären wieder sieben verschenkte Jahre, denn inzwischen müsste es wirklich jede und jeder bemerkt haben, dass das mit der Freiwilligkeit nicht klappt. Der Vorschlag der Frauenministerin Schröder, eine gesetzliche Pflicht zur Selbstverpflichtung der Unternehmen einzuführen, ist vor diesem Hintergrund absurd.
Ich vertrete die Frauen in den Berliner Finanzämtern. Hier gilt seit 20 Jahren das Landesgleichstellungsgesetz, das helfen soll, Unterrepräsentanzen von Frauen zu beseitigen. Quoten sind hier nicht vorgegeben. Selbst mit diesem Gesetz kommen wir in Sachen Chancengleichheit nur langsam voran. Solange nur Männer die wichtigen Personalentscheidungen treffen, werden auch weiterhin als typisch männlich geltende Eigenschaften positiver bewertet und eher weibliche Eigenschaften abqualifiziert. Dazu gehören auch Erwerbsbiografien von Frauen, die viel häufiger von familien- und pflegebedingten Unterbrechungen geprägt sind. Was wir brauchen, sind klare für Wirtschaft und Verwaltung geltende Vorgaben. Und die Überzeugung muss sich durchsetzen, dass mehr Frauen in Führungspositionen ein Gewinn für die ganze Gesellschaft sind. Eine Quote ist ein gutes Mittel, um auf diesem Weg einen Schritt voranzukommen.
Susanne Bewersdorf, Gesamtfrauenvertreterin für die Berliner Finanzämter
Sehr geehrte Frau Bewersdorf,
Sie haben recht: Worauf sollen wir noch warten? Die Quote ist an der Zeit; eigentlich ist sie seit langem überfällig. Es ist alles dazu gesagt, zur Genüge kennen wir die Gründe für die fortgesetzte Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, wir wissen also, was zu tun ist. Wir wissen auch, dass das „Argument“, Frauen kämen lediglich aus politischem Kalkül und nicht aufgrund von Kompetenz auf die Chefsessel, nicht nur schon immer war, was es ist: eine Abwehrstrategie, um Macht, Einfluss, Gestaltungsmöglichkeiten und Ressourcen nicht teilen zu müssen, sondern vor allem der Verschleierung männlich-homosozialer Kooptationsstrategien dient: dass unter Männern ohnehin nicht Eignung und Kompetenz, sondern Beziehungen und Ähnlichkeit entscheiden. Zudem sind die Zahlen bekannt, allein, es bewegt sich nichts. Nach vierzig Jahren Frauenbewegung und zehn Jahre nach der freiwilligen (?) Selbstverpflichtung der Privatwirtschaft sind die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Unternehmen noch immer zu fast 100 Prozent „men only“. Und damit sind sie fast rückständiger zu nennen als manch Londoner Gentlemen's-Club, von denen viele längst auch Frauen als Mitglieder akzeptieren. Doch das nur am Rande.
Weiten wir indes unseren Blick, so rücken noch andere Zahlen in den Blick. So gesellen sich zu 97 Prozent männlichen Vorständen beispielsweise mehr als 90 Prozent Frauen in der ambulanten Pflege oder rund 93 Prozent Frauen im Friseurberuf. Ein Beruf, den die Innung der Friseure aufgrund seiner „Vielseitigkeit“ als "Traumberuf" anpreist, in dem Stundenlöhne von unter 3 Euro in einigen Regionen Deutschlands jedoch die Realität sind. Warum, so fragen Sie sich vielleicht, erzähle ich Ihnen das an dieser Stelle? Weil das eine mit dem anderen zusammenhängt. Weil die Mehrheit der Frauen in Teilzeit, in nicht-existenzsichernder, nicht sozial-versicherungspflichtiger Beschäftigung erwerbstätig ist, weil sie häufig in Jobs arbeiten, in denen Armutslöhne die Regel und nicht die Ausnahme sind. Und weil es bislang die Frauen sind, die den ja längst stattgefundenen Wandel in der Organisation und Verteilung von gesellschaftlich notwendiger Arbeit schultern. Kurz gesagt: Die weibliche Erwerbsquote steigt, sozial- und familienpolitische Regelungen sind längst orientiert am Leitbild des adult worker, das heißt, jede erwachsene Person ist selbst verantwortlich für ihre ökonomische Existenzsicherung, allerdings ist damit bisher keine Umorganisation der Sorge- und Reproduktionsarbeiten oder gar deren auch finanzielle Aufwertung verbunden. Dass die Sorge für sich selbst und andere eine gesellschaftlich geteilte Aufgabe und nicht die der Frauen alleine ist, von dieser Einsicht sind wir jedenfalls noch weit entfernt.
Eine gesetzlich verbürgte Quote wird diese Aufgabe nicht lösen, wir brauchen sie dennoch, und zwar jetzt und sofort. Und dies nicht nur – und vielleicht sogar zuletzt –, weil wir eine geschlechtergerechtere Zusammensetzung der ökonomischen Eliten wollen, sondern weil sie im besten Fall mehr Tempo und Dringlichkeit in die Gestaltung dieser vielleicht wichtigsten Frage unserer Gesellschaft bringen wird.
Ginge es im Übrigen mit der Gleichstellung der Geschlechter in Europa im bislang bekannten Tempo weiter, das haben ceteris paribus-Berechnungen ergeben, wäre die vollständige Gleichstellung erst Mitte des 24. Jahrhunderts gesellschaftliche Wirklichkeit. So lange können und wollen wir nicht warten!
Ich grüße Sie herzlichst
Ihre Sabine Hark
— Sabine Hark, Soziologin, ist Professorin an der TU Berlin. Sie leitet das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung