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Nationalmannschaft: Der alte Kapitän

Deutschland spielt wieder Fußball – und Michael Ballack muss sich an neue Zeiten gewöhnen.

Man muss noch einmal daran erinnern: Michael Ballack ist der beste deutsche Fußballspieler der Gegenwart. Er mag keinen großen Titel gewonnen haben (was oft genug nicht sein Verschulden war) und er war bei der Weltmeisterschaft in Südafrika nicht dabei (was ganz und gar nicht sein Verschulden war). Dennoch ist etwas Entscheidendes passiert mit dem einstmals unumstrittenen Capitano: Man muss inzwischen daran erinnern, dass der 33-jährige Görlitzer, der jetzt aus London nach Leverkusen zurückgekehrt ist, Deutschlands Bester am Ball ist. Der Beste der Gegenwart, wohlgemerkt.

Die Zukunft des deutschen Fußballs spielen längst andere. Und sie leiten daraus Ansprüche ab, die Michael Ballack früher nicht hätte gelten lassen. Dieses Früher, in dem er noch geachteter Kapitän und gefürchteter Antreiber der Nationalmannschaft war, ist erst vor einem Monat vergangen. Dennoch scheint es, als lasse sich der alte Aggregatzustand nach den teilweise begeisternden WM-Auftritten der Ballack-Vertreter kaum noch wiederherstellen. Das neue Team von Bundestrainer Joachim Löw spielte frisch und wirkte erwachsen, auf eine gewisse Weise sogar entwachsen. Angeführt von Bastian Schweinsteiger und Interimskapitän Philipp Lahm, befeuert vom entfesselten Thomas Müller ist ein neuer Teamgeist entstanden – ohne den Mann, der sich bisher fürs große Ganze zuständig gefühlt hat. Nicht einmal als Dauergast im Mannschaftsquartier schien er richtig erwünscht zu sein.

Am heutigen Mittwoch beginnt die neue Saison für die Nationalmannschaft – mit einem unwichtigen Spiel einer nicht ganz so gewichtigen Ersatzmannschaft mit einem leichtgewichtigen Interims-Interimskapitän Thomas Hitzlsperger. Das Thema aber, das heute unsichtbar gegen Dänemark mitspielt, lässt Joachim Löw bewusst in der Schwebe. Eigentlich dürfte er wissen, was er damit tut.

Unweigerlich greifen nun die Gesetze der Gentrifizierung – das Alte wird bedächtig, aber beharrlich verdrängt. Lahm wiederholt, dass er weiterhin die Binde des Spielführers tragen möchte, zu Hilfe kommt Ballack im Augenblick niemand. Zu allem Überfluss verbreitet der ehemalige Bayern-Spieler Christian Lell Gerüchte über Ballacks Privatangelegenheiten in der Öffentlichkeit. All das – und die Bemerkung von Löw, er müsse in der Kapitänsfrage auch konzeptionell entscheiden – höhlt Ballacks Autorität stetig aus. Und der muss dabei überhaupt erst einmal wieder fit werden.

Weil Ballack der beste deutsche Fußballer der Gegenwart ist, hat er ein Recht darauf, nicht aus dem Nationalteam gedrängt zu werden. Aber den neuen Aggregatzustand einer Mannschaft muss, wer sie anführen möchte, erkennen und anerkennen. Ballack macht derzeit nicht einen solchen Eindruck. Sein schwerstes Finale entscheidet sich deshalb an einer Frage: Hat er die Größe, sich auf die neue Mannschaft einzulassen? Auf den alten Ballack wird die sich jedenfalls nicht einlassen. So viel ist klar.

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