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Wenn Papierdrachen zum Leben erwachen. Morgendämmerung am Bund entlang des Flusses Huanpu in Shanghai.

© AFP

Deutsch-chinesische Beziehungen: Jeder gute Garten will gedüngt sein

Die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China darf trotz aller Probleme nicht erlahmen. Ein Gastbeitrag.

Selten waren die deutsch-chinesischen Beziehungen in ihrer 50jährigen Geschichte so schwierig wie heute. Obwohl die VR China auch 2021 Deutschlands wichtigster Handelspartner war, könnten die Positionen beider Seiten in geopolitischen Fragen kaum weiter auseinander liegen.

Die gegensätzliche Bewertung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, Chinas alternativer Entwicklungsweg sowie die zunehmende Distanzierung von westlich-liberalen Ideen der konstitutionellen Demokratie, sind nur einige prominente Beispiele. Chinas Weg unterstreicht eindrucksvoll, dass Modernisierung nicht mit Verwestlichung einhergehen muss.

In enger Verbindung dazu steht das Gefühl der Entfremdung, welches sich in Deutschland und Europa gegenüber China ausbreitet. Chinas wirtschaftlichem Aufstieg, dem keine politische Annäherung an „unseren“ (liberal-demokratischen) Weg folgt, stellt für viele, die sich über Jahrzehnte hinweg im Sinne der Parole „Wandel durch Annäherung“ mit China auseinandergesetzt haben, vielleicht die größte Enttäuschung dar.

Was genau heißt Systemrivalität?

Die Bundesregierung betonte bereits in ihrem Koalitionsvertrag, dass die deutsche Politik die „Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität“ gestalten muss. Das genaue Verständnis von Systemrivalität ist dabei noch unbestimmt. Jedes Ressort ist aufgefordert, einen Beitrag zu einer „umfassenden China-Strategie in Deutschland im Rahmen der gemeinsamen EU-China Politik“ zu leisten.

Dies betrifft in zentraler Weise auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China, die in den letzten Monaten oftmals harsche Kritik aus Politik und Populärwissenschaft aushalten musste. Statt die Volksrepublik offener und demokratischer zu machen, habe sich die deutsche Wissenschaft in Abhängigkeiten begeben, aus denen man sie nun schnellstens retten müsse. Sie habe ihre Werte aufs Spiel gesetzt und teils naiv, teils aus Geltungssucht geblendet oder von finanziellen Motiven geleitet, mehr dazu beigetragen, einen technologischen Rivalen aufzubauen, als den eigenen wissenschaftlichen Fortschritt zu befördern.

Dazu passt, wenn Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger deutsche Hochschulen dazu auffordert, sich „generell überall dort , wo wir China helfen würden, einen Vorteil im Systemwettbewerb zu erringen“.

Die liberale Weltordnung schwankr

Ein entscheidender Punkt wird hierbei vergessen. Gerade für die deutsch-chinesischen Wissenschaftsbeziehungen ist der Unterschied und Wettbewerb der politischen Systeme immer präsent gewesen. Der Umgang damit hat sich über die Jahrzehnte hinweg jedoch verändert, was nicht nur am Wandel der chinesischen Wissenschaft unter Xi Jinping liegt. Es hat auch damit zu tun, dass die liberale, westlich geprägte Weltordnung nicht mehr die ist, die sie mal war.

Die Strukturen dieser Ordnung, ihre Institutionen, Organisationen und Normen, existieren zwar noch, aber sie können nicht mehr für ausreichende Stabilität und Sicherheit sorgen. Die vielen ineinander greifenden Krisen – Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Covid-19-Pandemie, Ukraine und Taiwan, aber auch die Zunahme von populistischen Kräften in Europa und den USA sowie der Trend der „Ent-Demokratisierung der Demokratie“ – machen die Risse in der liberalen Ordnung sichtbar.

Die so entstandene Verunsicherung wird nach außen auf das autoritäre „Andere“ projiziert. Diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf Wissenschaft und Forschung. Sie ermöglichen chinesischen Akteuren, aktiv die Wissenschaftslandschaft, ihre Normen sowie wissenschaftliche Kooperationen in ihrem Sinne zu formen. Gleichzeitig verunsichert diese Situation Politik und Forschung, obwohl der deutsch-chinesische Austausch in der Wissenschaft in den letzten drei Jahrzehnten immer enger geworden sind.

Studierende aus China in hoher Zahl

So stellen Chines*innen mit zehn Prozent den größten Anteil an internationalen Studierenden der deutschen Hochschulen, auch Wissenschaftler*innen sind immer häufiger zu Gast in Deutschland. Unter den Vorzeichen einer stärker als Systemkonkurrenz wahrgenommenen Beziehung zu China werden diese Forschungsverbindungen inzwischen kritischer gesehen und teilweise skandalisiert.

Dies zeigt die Berichterstattung zur China Science Investigation eines internationalen Recherchekollektivs. Die Untersuchung weist in rund 3000 Fällen direkte Zusammenarbeit von europäischen Universitätsangehörigen mit Koautor*innen nach, die dem chinesischen Militär zuarbeiten. Dies sind weniger als ein Prozent der 350000 untersuchten Artikel.

Im Zuge dieser Enthüllungen werden jedoch nur absolute Zahlen genannt, keine Verhältnisse. Besonders eklatante Beispiele fragwürdiger Studien werden betont, so dass der Eindruck entsteht, alle wissenschaftlichen Kollaborationen mit China seien verdächtig.

Sicherlich ist die Wissenschaft aufgerufen, künftig genauer hinzusehen, mit wem sie kooperiert. Neben den Vorschlägen der Hochschulrektorenkonferenz wären weitere Schritte zur Beratung von Forschenden durch chinakundige Stellen in Universitäten und Forschungsinstituten sinnvoll. Dass eine entsprechende Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums von 2021 (Regio-China) bis heute nicht abgeschlossen wurde, stimmt angesichts der jüngsten Finanzierungsschwierigkeiten des Ministeriums bedenklich. Ohne zusätzliche Förderung wird sich die im Koalitionsvertrag verankerte Steigerung an Chinakompetenz nicht erreichen lassen. Und Chinakompetenz ist der Schlüssel dafür, unser Wissenschaftssystem gegen Einmischungsversuche zu stärken.

Politik als Kunst des Möglichen

Dass die Bundesregierung ihr Verhältnis zur VR China ein halbes Jahrhundert nach der Aufnahme offizieller Beziehungen neu austarieren möchte, ist zu begrüßen. Aber auch eine wertegeleitete Außen- und Kulturpolitik bleibt Politik und damit „die Kunst des Möglichen“: Sie ist kein Wunschkonzert. Denen, die hoffen, mit Belehrungen von außen China verändern zu können, möchte man mit Marcel Reich-Ranicki zurufen „Man kann einen Garten nicht düngen, indem man durch den Zaun furzt.“

Wir müssen vielmehr nach Möglichkeiten suchen, um die Zusammenarbeit auch mit schwierigen Partnern, die unsere Werte nicht teilen, in den Bereichen fortzusetzen, wo sie uns allen nutzen, allen voran im Klimaschutz, der drängendsten Aufgabe der Gegenwart, ohne unsere Werte in anderen Bereichen zu relativieren oder gar aufzugeben.

Wo die Grenzen zwischen diesen Bereichen verlaufen und welche Instrumente einzusetzen sind, wird notwendigerweise umstritten sein. So sollte es in einer offenen Gesellschaft auch sein. Wir können unsere (Wissenschafts-)Freiheit jedenfalls nicht erhalten, indem wir sie durch Kooperationsverbote und übermäßige Auflagen selbst einschränken.

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