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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Meine Heimat: Ein Egomane für die Heulsusen

Ein Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der früher die Bänker hätschelte und heute gegen sie wettert, stellt die Sozialdemokratie vor große Probleme.

Dort, wo ich gerade bin, am Ende der Welt, fällt es schwer, sich Gedanken über politische Strategien zu machen. Die Menschen hier sind damit beschäftigt, zu leben und zu überleben. Umso absurder erscheint mir, dass die SPD jetzt einen echten Strategen auf das Schild gehoben hat. Vergessen ist, dass ihr Kanzlerkandidat vor Jahren als Ministerpräsident in NRW die milliardenschwere Zockerei der WestLB mitgetragen hat. Später als Finanzminister die Finanzmarktaufsicht zusammenstrich. Für Banker und Bonijäger als verständiger Deregulierer der neuen Finanzprodukte auftrat. Als diese schließlich wie Seifenblasen platzten, der IKB und der Hypo Real Estate mit Steuergeldern beisprang und die Forderungen der Zocker ablöste. Es hat schon was, die Krisen mit zu verantworten und nun als Kanzlerkandidat polternd dagegen Wahlkampf zu machen. Chuzpe hat der Mann.

Eine weitere Frage beschäftigt mich hier zwischen Weizenfeldern, Schafen und Kühen: Bekommt dieser Nebenerwerbsbundestagsabgeordnete seine Auftritte als Redner vor Wirtschaftsvertretern deshalb, damit die sehen, dass unser rhetorisches Rumpelstilzchen dozieren kann wie er will und trotzdem schlichtweg keine Gefahr darstellt? Oder bedanken sich die Vertreter des Kapitals bei ihrem Buddy so für den nicht versiegenden Schluck aus der Steuerpulle?

Nein, ich sehe nicht alles schwarz. Auch bin ich weit davon entfernt, Lobbyistin für Bundesmutti Angela Merkel zu werden. Ich halte mich an Ferdinand Lassalle, der vor 150 Jahren die Sozialdemokratie erfunden hat und sagte: Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit.

Nun habe ich nicht darüber zu entscheiden, wie Parteien ihre Spitzenkandidaten bestimmen. Das Trio Infernale hat aber den Mann ausgedeutet, der sich einst über die Hinterzimmer der SPD mokierte und nun genau dort als Spitzenkandidat von den „Heulsusen“ gekürt wurde.

Man kann nur mit den Ochsen pflügen, die man hat, sagt ein altes afrikanisches Sprichwort. Und so gesehen braucht sich der Spitzensozi in Anbetracht der Mitbewerber auch nicht zu verstecken. Ich glaube aber, dass Peer Steinbrück etwas Fundamentales nicht verstanden hat: Wir wählen keinen, der es vielleicht besser weiß, aber nur sich selbst bespiegelt. Ein Kandidat muss selbstbewusst sein, darf sich selbst jedoch nicht so wichtig nehmen. Da ist die jetzige Amtsträgerin mit ihrer Bescheidenheit haushoch überlegen.

Die SPD könnte alle Wahlen gewinnen, wenn sie die mitnehmen würde, die außen vor bleiben und jene gewönne, denen der spießige Stallgeruch der Sozialdemokratie zwar unangenehm ist, die aber einsehen, dass jemand die Gesellschaft zusammenhalten muss – sozial und gerecht. Diesen Kern der Sozialdemokratie hat Banken-Peer stets gut verdrängt, und so ist er nur Garant für eine erneute große Koalition. Man weiß, wie es endet, nur noch nicht, wie es geschieht. Darüber könnte man dann bestimmt wieder viele hochdotierte Vorträge halten. Oder wie mein Vater sagen würde: „Bir ipte iki cambaz oynayamaz“ – auf einem Seil können nicht zwei Akrobaten tanzen.

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