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Meinung: Eine für alle

Auf einmal ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer wieder salonfähig – gut so

Von Antje Sirleschtov

Also doch! Was eben noch unweigerlich ins politische Abseits geführt hat – das böse M-Wort nämlich – ist auf einmal salonfähig. So aufgewühlt sind diese Tage des politischen Neubeginns, dass man es kaum bemerkt hat: Die Politikeliten debattieren – parteiübergreifend – seit einer Woche erstaunlich zahm über die Frage, welche Rolle wohl eine Anhebung der Mehrwertsteuer in der Reformzeit nach der Neuwahl im Herbst spielen soll. Nur die FDP behauptet noch, sie wolle von all dem nichts wissen. Noch! Das Tabu scheint gebrochen, endlich.

Jetzt darf – und es muss sogar – in diesem Sommer, befreit von Denkverboten, über die Zukunft der Sozialsysteme und der Staatsfinanzen gestritten werden. Und die Mehrwertsteuer, die gehört nun mal dazu. Räumen wir also zuerst mit den Vorurteilen auf, die die „M-Steuer“ in der jüngeren Vergangenheit zum Schmuddelwort haben werden lassen.

Nummer eins ist die Sozialverträglichkeit. Wer die Mehrwertsteuer anhebt, so heißt es, schadet den Armen. Das stimmt genauso wenig wie die irreführende These vom totalen Zusammenbruch des deutschen Häuslebauerwesens für den Fall, dass die Eigenheimzulage wegfällt. Wahr ist vielmehr, dass es nichts Sozialeres gibt als die Finanzierung eines Gemeinwesens über indirekte, also Mehrwert-Steuern. Unsere Reformvorbilder in der europäischen Nachbarschaft machen es vor: Sie fordern lieber vom Porschefahrer einen saftigen Umsatzsteueraufschlag, als dass sie die Steuern der Kindergärtnerin aus der Lohntüte ziehen.

Auf hiesige Verhältnisse übersetzt: Eine Regierung, die den Krankenkassen die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder in Zukunft aus der Staatskasse bezahlt und zu deren Finanzierung die Mehrwertsteuer anhebt, handelt allemal sozial- und arbeitsmarktverträglich. Weil dadurch die Versicherungsbeiträge sinken können und gerade sozial schwächere Gesellschaftsschichten höhere Jobchancen haben. Und auch, weil dann Villenbesitzer und wohlhabende Rentner zur Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben herangezogen werden. Unsozial wird die ganze Aktion erst, wenn es keine Reform der sozialen Sicherungssysteme und des Staatshaushaltes gibt, wenn also alles beim Alten bleibt, und die Mehrwertsteuer trotzdem steigt. Dann werden alle zur Kasse gebeten. Auch die, die ihr kleines Einkommen zu großen Teilen für Miete und Lebensmittel und damit steuerfrei oder zumindest steuerermäßigt ausgeben.

Für die anstehende Operation „M-Wort“ müssen die Wähler also mit den Parteien hart zocken: Nur für niedrigere direkte Belastungen gibt es höhere indirekte Steuern – und keinesfalls umgekehrt. Beinahe unerheblich ist es dann, ob Arbeitnehmern und Unternehmern für die Konsumbeschwernis ein paar Beitragspunkte bei den Lohnnebenkosten oder der Solidaritätszuschlag erlassen werden oder aber die Steuertarife sinken. Alles andere würde die wirtschaftliche Lage des Landes nur noch weiter verschlimmern – es würde wirken wie das berühmte „Gift für die Konjunktur“.

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