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Von Albrecht Meier: Einfach komplex

Die EU wird ein vielstimmiger Chor bleiben – auch mit dem Lissabon-Vertrag

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W ahrscheinlich ist die letzte Wegstrecke, die die Europäische Union bis zur nächsten Station namens „Lissabon“ noch zurücklegen muss, nicht mehr sehr lang. Noch steht das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts über den Lissabon-Vertrag aus, und danach könnte auch der Präsident in der Prager Burg den Text unterzeichnen – vorausgesetzt, Vaclav Klaus lässt sich von Europas Staats- und Regierungschefs beim Brüsseler EU-Gipfel mit einer Zusage zur Fortgeltung der Benes-Dekrete besänftigen. Und dann bekäme die EU endlich, wie im Lissabon-Vertrag vorgesehen, einfachere Entscheidungsstrukturen, mehr Demokratie und Führungspersönlichkeiten, die ihr in aller Welt ein Gesicht geben.

Doch ganz ohne Reibungen wird es auch in der schönen neuen Lissabon-Welt der EU nicht abgehen. Das zeigt der Streit um die künftigen Spitzenposten der Union. Luxemburgs Premierminister Jean- Claude Juncker steht für das Amt des EU-Ratspräsidenten ebenso zur Verfügung wie der ehemalige britische Premier Tony Blair. Der Luxemburger geht vor allem als exzellenter Kenner des Brüsseler Räderwerks ins Rennen. Der ehemalige Londoner Regierungschef verkauft seine Kandidatur hingegen mit dem Argument der Außenwirkung. Das lautet so: Wenn die EU künftig global ein schärferes Profil zeigen wolle, dann brauche es an ihrer Spitze jemanden, dessen Name auf der Welt nicht ganz unbekannt ist – Tony Blair eben. Noch ist völlig offen, ob Blair, Juncker oder eine dritte Person am Ende zum Zuge kommen wird, was nicht zuletzt an Angela Merkel liegt. Die Kanzlerin bleibt sich auch auf europäischer Bühne treu. Sie wird sich wohl in dem Streit erst in letzter Minute öffentlich positionieren.

Nun ist mit Blair in den Augen vieler Europäer vor allem deshalb kein Staat zu machen, weil er 2003 am Feldzug gegen Saddam Hussein teilnahm. Aber hinter der Debatte, ob denn nun der Irakkrieger Blair oder doch der überzeugte Europäer Juncker der richtige Mann für den Posten des EU-Ratspräsidenten ist, verbirgt sich mehr. Nämlich die Befürchtung, dass die sorgsam gewahrte Machtbalance zwischen großen und kleinen EU- Staaten zerstört werden könnte, wenn Blair an der Spitze der Gemeinschaft alles überstrahlen würde. Nicht zuletzt deshalb stehen ihm die kleinen EU-Staaten so skeptisch gegenüber. So lautet die Quintessenz aus dem gegenwärtigen Gerangel um das künftige EU- Führungspersonal: Mit dem Lissabon-Vertrag wird die EU zwar einfacher und schneller funktionieren. Aber sie wird auch immer der vielstimmige Chor bleiben, an den sich die Europäer über Jahrzehnte gewöhnt haben.

Und weil gerade die Außenpolitik zur Domäne des Nationalstaats gehört, wird es auch eine europäische Diplomatie aus einem Guss, wie sie sich viele mit dem Lissabon-Vertrag erhoffen, nicht geben. „Lissabon“, die vorerst letzte Etappe bei der EU-Reform, zeigt eben auch die Grenzen europäischer Einigung auf.

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