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Kommentar: Flugroutengegner profitieren von Stuttgart 21

Nur mit massiven Ängsten der Politik vor einem Volkszorn der Berliner lässt sich erklären, wieso die Verantwortlichen bezüglich der Flugrouten vom Flughafen Berlin-Brandenburg International so schnell einknickten.

Stand:

Ob Heiner Geißlers Vermittlung im Streit um den tiefer oder nicht tiefer zu legenden Hauptbahnhof in der baden-württembergischen Landeshauptstadt nun zu einem Erfolg führt oder nicht – in Berlin hat Stuttgart 21 bereits gewirkt. Nur mit den massiven Ängsten der Politik vor einem hier losbrechenden Volkszorn nach dem Stuttgarter Modell ist zu erklären, dass sich Berlin, Brandenburg und der Bund so schnell einig waren, dass den abgeknickten Flugrouten vom neuen Flughafen BBI keine Zukunft beschieden sein darf. Man kann es aber auch Vernunft nennen, was da plötzlich Raum gegriffen hat in einer Situation, von der keine der politischen Parteien hätte profitieren können – vielleicht hat aber genau das den Effekt gehabt, den der Schwabe Klaus Kinkel in einer verzwickten Lage einmal so beschwor: „Herr, lass Hirn regnen!“

Der Flughafenstandort Schönefeld wurde vor 14 Jahren von einer CDU-geführten Berliner Landesregierung durchgesetzt, die eine rot-schwarze Koalition in Brandenburg auf diese Linie brachte. Die SPD war damals für das stadtferne Sperenberg. Wenn heute also die Berliner CDU versuchte, sich an der Wut über die abgeknickten Flugrouten die Hände zu wärmen, musste sie sich vor Brandblasen hüten. Und die Flugsicherung mag sich nur behördenmäßig stur oder, ohne Rücksicht auf die betroffenen Menschen, geradezu dumm angestellt haben – ihr oberster Dienstherr heißt Peter Ramsauer und ist von der CSU.

Die abgeknickten Flugrouten mögen politisch tot sein, juristisch sind sie es nicht. Denn seit dem Jahre 2004 gibt es die europaweite Vorgabe, dass bei gleichzeitigen Abflügen von zwei parallelen Startbahnen zumindest einer davon sofort nach dem Abheben der Maschine in einem 15-Grad-Winkel vom Airport wegführen muss. Diese Regel löste ja zunächst die Mitteilungen der Flugsicherheit Anfang September aus, mit der die erregten Debatten begannen. Und selbst ein Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer darf – Gott sei Dank! – sicherheitsrelevante Vorschriften nicht außer Kraft setzen. Er wird es auch nicht tun. Man darf davon ausgehen, dass er nicht auf Zeit spielen will, sondern sich bei seinem Votum auf sachkundige Ratschläge stützte. Wahrscheinlich wächst, nach seriösen Prognosen und ohne die üblichen Berliner Visionen, das Verkehrsaufkommen von BBI in den kommenden zehn Jahren so langsam, dass ein Parallelbetrieb überhaupt nicht oder lediglich für kurze Zeit notwendig sein wird. Steigt das Verkehrsaufkommen, wird der nördliche Runway zur überwiegenden Lande- und der südliche zur bevorzugten Startpiste gemacht. Dann könnte man in BBI parallel starten und landen, ohne dass sich Maschinen in die Quere kommen, vom seltenen Zwang zum Durchstarten einmal abgesehen.

Es wäre ohnedies ganz grundsätzlich Zeit, bei der Bewilligung von Flughafenausbauten die juristische der gefühlten Rechtslage anzupassen. Bei der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig 2006 für den neuen Airport BBI spielten die Flugrouten keine Rolle. Sie waren nicht Bestandteil des Verfahrens. Nicht nur in Berlin, sondern auch bei Ausbauten in Frankfurt oder München dürfen Flugrouten später geändert werden. Fachjuristen beklagen diese offensichtliche Verfahrenslücke seit Jahren, denn sie lässt die Menschen im Umfeld dieser Ballungsräume der Verkehrsinfrastruktur zum Zeitpunkt der Planfeststellung im Unklaren, wie später einmal geflogen wird. Das muss geändert werden – das ist ebenfalls eine Lehre aus „Berlin 21“.

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