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Meinung: Gewalt von Rechts: Sorgen um die Mitte

Sind Juden selber schuld am Antisemitismus? Manche Äußerungen über den angeblich zu alarmistischen Ton, den der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland anschlägt, haben diesen Subtext: Da überbewertet einer die rechtsradikalen Umtriebe, wirft der politischen Mitte "Zustimmungsbereitschaft" zu ausländerfeindlichen Parolen vor und schadet damit der jüdischen Minderheit mehr, als dass er ihr nützt.

Sind Juden selber schuld am Antisemitismus? Manche Äußerungen über den angeblich zu alarmistischen Ton, den der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland anschlägt, haben diesen Subtext: Da überbewertet einer die rechtsradikalen Umtriebe, wirft der politischen Mitte "Zustimmungsbereitschaft" zu ausländerfeindlichen Parolen vor und schadet damit der jüdischen Minderheit mehr, als dass er ihr nützt.

Ein Jahr ist Paul Spiegel im Amt. Und schon seit Monaten dort angekommen, wo Ignaz Bubis - erschöpft - am Ende seines Lebens stand: Bei jener Mischung aus Resignation und kämpferischem Sich-zu-Wort-melden, bei der Rolle als Mahner und Pannenhelfer der Demokratie, die Spiegel eigentlich gar nicht wollte. Auch wenn am Ende seines ersten Amtsjahres die Demonstranten von Düsseldorf, Berlin und Cottbus jenes Signal gegen den Rechtsextremismus setzten, das Spiegel sich erhoffte: Es bleibt ein bedrückendes Jahr, in dem kaum ein Tag verging, an dem nicht irgendwo in Deutschland jüdische Friedhöfe geschändet oder jüdische Einrichtungen beschmiert oder beschädigt wurden.

Irritierend ist allerdings Spiegels Feststellung, auch die Eliten seien inzwischen mit der deutschen Krankheit infiziert. Bauscht er da etwas auf, schließt er fahrlässig vom Rand auf die Mitte der Gesellschaft? Vielleicht sind es die vielen kleinen Erschütterungen, die Spiegels Seismograph sensibler wahrnimmt. Die erfundenen jüdischen Vermächtnisse der Hessen-CDU, die Ankündigung von Merz, die Einwanderungsfrage im Wahlkampf zu thematisieren, das Gerede über "Inder statt Kinder" und die deutsche Leitkultur: Spiegel spürt, dass es in Teilen der Bevölkerung eine uneingestandene, latente Abwehr gegen alles Fremde gibt, die leicht instrumentalisiert werden kann. Und er wehrt sich dagegen, dass bürgerliche Politiker diesen Kettenhund von der Leine lassen, nur um gegen die Regierung zu punkten. Dabei hat das deutsche Judentum genug Probleme: Die Integration der russischen Einwanderer überfordert die Gemeinden personell und finanziell, und mit dem neu gegründeten Rabbinerkolleg in Potsdam spitzt sich der Konflikt mit den außerhalb des Zentralrats organisierten nichtorthodoxen Juden weiter zu. Und so kann man Spiegel zum zweiten Jahr nur eins wünschen: dass er sich endlich den innerjüdischen Problemen widmen kann.

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