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Ekrem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul, spricht zu seinen Anhängern, die sich vor dem Rathaus versammeln.

© dpa/Khalil Hamra

Angstgegner des türkischen Präsidenten: Das Urteil gegen den Istanbuler Bürgermeister könnte Erdogan noch auf die Füße fallen

Ekrem Imamoglu ist Recep Tayyip Erdogans Rivale und soll nun ins Gefängnis. Dahinter steckt ein politisches Manöver – mithilfe einer linientreuen Justiz.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Ekrem Imamoglu ist populär, ein ernstzunehmender Konkurrent für Staatschef Recep Tayyip Erdogan – und könnte bald im Gefängnis landen. Ein türkisches Gericht hat Istanbuls Bürgermeister zu einer Haftstrafe von mehr als zweieinhalb Jahren verurteilt.

Er soll 2019 Mitglieder eines für die damaligen Kommunalwahlen zuständigen Gremiums beleidigt haben. Die Richter haben Imamoglu außerdem untersagt, sich politisch zu betätigen. Ein überaus hartes Urteil, das offenbar Erdogans Rivalen ausschalten soll.

Denn wird der Schuldspruch in einem Berufungsverfahren bestätigt, verlöre die säkulare Oppositionspartei CHP ihren wohl prominentesten und aussichtsreichsten Hoffnungsträger für die Präsidentenwahl Mitte kommenden Jahres. Und die Millionenmetropole am Bosporus bräuchte ein neues Stadtoberhaupt.

Beides käme Erdogan und seiner Regierungspartei zupass. Denn Imamoglu war es, der ihm die wohl schmerzhafteste Niederlage zufügte – er entriss vor drei Jahren der AKP Istanbul. Sogar die äußerst fragwürdige Wiederholung der Wahl nutzte den Gegnern des Bürgermeisters nichts: Imamoglu siegte noch deutlicher.

Ist es die Furcht vor dem beliebten Politiker, die Erdogan dazu treibt, den Oppositionspolitiker mithilfe der Justiz aus dem Weg räumen zu lassen? Davon ist Imamoglus Anhängerschaft überzeugt, sie hält das Gerichtsverfahren für politisch motiviert. Diese Einschätzung dürfte zutreffend sein.

Erdogan kann sich nicht sicher sein, dass seine Wiederwahl im kommenden Jahr ein Selbstläufer ist.

© IMAGO/Markiian Lyseiko

Von Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, von unabhängigen Richtern und Staatsanwälten oder Meinungsfreiheit kann nun beim besten Willen keine Rede sein. Auch wenn Erdogan das immer wieder behauptet. Der Präsident hat vielmehr über Jahre hinweg die Gewaltenteilung de facto aufgehoben.

Nach dem Putschversuch 2016 wurden Tausende Richter entlassen

Zum Beispiel, indem er die Strafverfolgungsbehörden mit Linientreuen besetzte. Vor allem nach dem Putschversuch 2016 gab es eine regelrechte Säuberungswelle. Tausende Richter und Staatsanwälte wurden von einem auf den anderen auf die Straße gesetzt. Jetzt sprechen andere Recht – wie im Fall von Imamoglu.

Nur: Die juristische Attacke gegen den 52 Jahre alten Istanbuler Bürgermeister könnte Erdogan auf die Füße fallen. Denn das Urteil tut Imamoglus Popularität keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es könnte ihn stärken und so für Erdogan noch gefährlicher machen.

Nach der Entscheidung des Gerichts versammelten sich Hunderte vor dem Rathaus. Sie skandierten „Recht“ oder „Gerechtigkeit“. Und wissen: Imamoglu kann Wahlen gewinnen. Genau das will die Staatsmacht verhindern.

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