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Meinung: Helden der Arbeit

Die Diätendebatte zeigt: Unsere Vorstellung von Abgeordneten hat sich überholt

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So ähnlich könnte die Jobbeschreibung aussehen – für eine „Aufgabe, die mit anderen Ämtern und Berufen nicht vergleichbar“ ist. So jedenfalls hat es die Expertenkommission für eine Neuregelung der Diäten von Bundestagsabgeordneten in ihrem Abschlussbericht Ende März ausgedrückt. Darin zeichnet sich ein Bild der Parlamentariertätigkeit, das den einfachen Bürger geradezu in Sack und Asche gehen lässt: Es ist die Rede davon, dass Abgeordnete sich bei der Regierungskontrolle einer „kaum zu überschätzenden Herausforderung“ gegenübersähen, dass sie an einem Ort arbeiten, „an dem sich täglich entscheidet, ob die Gegensätze einer pluralistischen Gesellschaft hinreichend ausgeglichen und ihre Konflikte gewaltfrei gelöst werden sollen“. Der Volksvertreter muss demnach „unter Dauerbeobachtung arbeiten“. Kurzum: Die Leistung des Abgeordneten stelle nicht etwas Selbstverständliches oder „allenfalls Hinzunehmendes“ dar.

Unabhängig davon, dass den Bürgern nichts anderes übrig bleibt, als den Politbetrieb so zu nehmen, wie er ist, stellt sich doch die Frage, ob unseren Volksvertretern mit dieser Aufgabenbeschreibung ein Gefallen getan wurde. Denn eigentlich sollte es nur um eine Diätenreform gehen. Sie sollen um rund 500 Euro pro Monat steigen, an das Grundgehalt von Bundesrichtern angepasst und mit der allgemeinen Lohnentwicklung gekoppelt werden.

Um diese nicht gerade geringe Steigerung zu rechtfertigen, tut die Kommission nun so, als brauche man Superman-Qualitäten, um in Parlamenten bestehen zu können. Allerdings legt der Bericht durchaus einen Finger in die Wunde. Denn wie in anderen Berufen hat sich auch hier das Tätigkeitsprofil verändert. Die Vorstellung, das Parlament sei eine Art Ältestenrat, in dem kluge, honorige Menschen so lange über Dokumenten brüten und diskutieren, bis Entscheidungen herauskommen, die normale Bürger nie hätten treffen können, stimmte schon im 19. Jahrhundert nicht.

Doch welche Konsequenzen erwachsen daraus? Auf den Bundestag bezogen, versuchen die meisten Abgeordneten dem so nachzukommen, dass sie im Wahlkreis zahllose Anfragen wahrnehmen und gleichzeitig fachlich hochwertige Regierungskontrolle leisten möchten. Das handhaben auch die meisten Abgeordneten so, die über Listen eingezogen sind. Die Wehklagen darüber, dass Abgeordnete den Sinn von Euro-Rettungsschirmen selbst nicht verstehen, haben allerdings auch mir dieser zum Teil selbstgewählten Überforderung zu tun. Dass die Öffentlichkeit von Abgeordneten erwartet, immer Rede und Antwort stehen zu können, trägt zusätzlich dazu bei.

In Wirklichkeit sind die Abgeordneten machtloser geworden. Das hat mit der Professionalisierung von Politik zu tun, die sich darin ausdrückt, dass das Expertentum in Behörden und Wissenschaft zunimmt. Und es hängt damit zusammen, dass Entscheidungen zwischen Regierungen verhandelt werden – im deutschen wie auch im europäischen „Föderalismus“.

Die Abgeordneten sind sich dessen vermutlich bewusst und stürzen sich als Konsequenz in noch mehr Arbeit. Nicht ohne Grund bezeichnet sich der Bundestag gerne als „Arbeitsparlament“. Dabei wäre weniger vielleicht mehr. Vielleicht bräuchten wir ein sehr viel arbeitsteiligeres Parlament. Auf der einen Seite wirkliche Fachleute, die etwas von bestimmten Dingen verstehen und auf der anderen Seite direkt gewählte Abgeordnete, die sich als Ombudsleute ihrer Wahlkreise verstehen. Das ist ein Tabu, weil alle Abgeordneten gleich sein sollen. Aber der Parlamentarismus hat sich in seiner Geschichte immer wieder verändert.

Wenn also die Kommission schreibt, dass das Ansehen der Politik „Anlass zur Sorge“ gebe, dann hat das auch mit einer unklaren Jobbeschreibung zu tun. An der Bezahlung liegt es eher weniger. Denn dass der Abgeordnetenberuf wirklich unattraktiv geworden ist, dafür gibt es kaum Belege. Viel eher dürfte es so sein, dass es weiterhin Menschen gibt, die es durchaus genießen, bei allen möglichen Gelegenheiten nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Nur: Vielleicht ist das gar nicht immer notwendig.

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