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Meinung: Ist die deutsche Einheit in den Köpfen der Menschen angekommen?

„Aufbau West statt Ost? / Was war und was bleibt“ von Gerd Appenzeller vom 23.

„Aufbau West statt Ost? / Was war und was bleibt“ von Gerd Appenzeller vom 23. Dezember

Die ganze Diskussion um Aufbau West / Aufbau Ost zeigt eines deutlich auf: Die deutsche Einheit ist zwar auf dem Papier vollzogen, aber noch längst nicht in den Köpfen der Menschen. Da gönnt der Ossi dem Wessi das Schwarze unter dem Fingernagel genauso wenig, wie der Wessi es dem Ossi gönnt. Beide Seiten sind sich im Grundsatz spinnefeind - Ausnahmen gibt es natürlich. Dabei ist die Situation im Westteil der Republik heute tatsächlich alles andere als rosig. Das Deutschland ein wohlhabendes Land ist, ist dort vielerorts nicht mehr zu erkennen, wenn die Bausubstanz öffentlicher Gebäude sich zunehmend dem Zustand annähert, in dem sich viele Gebäude in der DDR 1989 befanden, wenn Straßen mit Schlaglöchern übersäht sind, die nicht repariert werden können. Im Osten dagegen hat sich seit der Wende einiges getan, dort ist die Infrastruktur heute oft besser als im Westen. Insofern ist es nur logisch, dass nun in den westlichen Bundesländern mehr investiert werden muss als im den östlichen.

Dass genau geschaut werden muss, wo im Rahmen des Konjunkturprogramms in die Infrastruktur investiert wird, halte ich für selbstverständlich. Schließlich werden diese Investitionen über zusätzliche Schulden finanziert, die sich Deutschland - und zwar ganz Deutschland - im Prinzip nicht leisten kann. Denn diese Schulden müssen wir alle mit unseren Steuern zurückzahlen, im Osten und im Westen.

Zum Abschluss: Ich habe keine große Hoffnung, dass die Einheit in den Köpfen der Menschen zum zwanzigsten Jahrestag der deutschen Einheit vollzogen sein wird. Eine solche Neiddebatte bringt keinen weiter und zementiert die Mauer, die in vielen Köpfen leider immer noch existiert, weiter. Wir werden wohl noch einige Generationen lang von Wessis und Ossis reden. Schade!

Karlheinz Schumann, Berlin-Lichtenrade

Sehr geehrter Herr Schumann,

wenn man den Stand der deutschen Einheit diagnostizieren möchte, braucht man einen Maßstab. Ich empfehle den europäischen Vergleich. Ein Italiener hat bemerkt, die deutsche Einheit sei weiter fortgeschritten als die italienische. Sie ist auch stabiler als die belgische. Hier und da gibt es in Europa separatistische Tendenzen, bloß nicht in Deutschland.

Das Wort „Einheit“ suggeriert illusionäre Maßstäbe. Wann endlich, könnte man sonst fragen, ist die Einheit zwischen Hamburgern und Altonaern hergestellt. Einigkeit im Grundsätzlichen genügt. Daneben darf es viele Unterschiede landsmannschaftlicher, politischer und weltanschaulicher Art geben, ohne dass das Grundsätzliche, der gemeinsame Staat und die gemeinsame Nation, dadurch gefährdet wären.

Anlass für Ihre schwarze Prognose, dass die Einheit in den Köpfen noch Generationen brauche, ist die inzwischen schon wieder abgeflaute Debatte um Aufbau Ost/Aufbau West. Wenn es ums Geld geht, wird immer gestritten und da versucht sich jeder arm zu rechnen und als hilfsbedürftig darzustellen, nach dem Grundsatz „nur wer klagt, gewinnt.“ Ich finde, das wird unter uns exzessiv betrieben, aber nicht nur zwischen Ost und West, sonder auch zwischen Bund und Ländern oder zwischen Ländern und Kommunen – und auf der Ebene der EU ebenfalls.

Etwas davon finde ich auch in Ihrem Brief. Denn dass die öffentlichen Gebäude im Westen sich dem Zustand in der DDR von 1989 nähern, ist doch wohl etwas übertrieben. Tatsächlich aber kann man ein Hotel mit Lift Baujahr 1984 oder älter nur noch im Westen erleben. Und es gibt im Westen tatsächlich inzwischen Nachholbedarf in der Infrastruktur, allerdings nicht flächendeckend. Öffentliche Gelder sollten nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedarf fließen. Ob dann mehr nach Ost oder West fließt, würde sich dann einfach aus einer einigermaßen gerechten Bedarfserhebung ergeben.

Richtig und wichtig finde ich Ihren Hinweis, dass die vielen Vorschläge für Konjunkturprogramme, deren grundsätzliche Berechtigung ich nicht bestreite, allesamt durch zusätzliche Schulden finanziert werden sollen. Wenn wir diese Schulden nicht tilgen, sobald die Krise überwunden ist, sondern dann für zusätzliche Einnahmen wieder viele edle zusätzliche Ausgaben erfinden, verbraten wir die Zukunft unserer Kinder.

Das Ausmaß unserer „Neiddebatten“ ist unschön, aber nicht gefährlich. Was in Sachen deutscher Einheit unsere Aufmerksamkeit viel mehr beanspruchen sollte, sind Tendenzen zur Verachtung der Demokratie und zur Beschönigung der beiden Diktaturen auf deutschem Boden. Dass wir auch in Krisen Demokratie und Rechtsstaat hochhalten, das müssen wir in jeder Krise neu beweisen.

Mit freundlichem Gruß

— Prof. Dr. Dr. Richard Schröder, Lehrstuhl

für Philosophie in Verbindung mit Systematischer Theologie an der Humboldt-Universität Berlin.

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