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Meinung: Jesus wird Gewerkschafter

Kirchen-Mitarbeiter dürfen künftig Arbeitskämpfe führen: Das ist kein Weltuntergang

Stand:

Die rund 1,3 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen dürfen künftig streiken. Gut so. Bisher war es ihnen verboten, weil sie einem spezifisch kirchlichen Arbeitsrecht unterstehen, dem „Dritten Weg“. Er sieht vor, dass Löhne und Arbeitsbedingungen in arbeitsrechtlichen Kommissionen einvernehmlich ausgehandelt werden. Die einvernehmliche Lösung, argumentierten die Kirchen, entspreche dem christlichen Menschenbild.

Das ist ein sehr hoher Anspruch, den die Kirchen da vor sich hertragen und den sie unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht verteidigen wie Löwinnen ihre Jungen – notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht oder zum Menschengerichtshof nach Straßburg, wie sie angekündigt haben.

Doch leider entspricht dieser Anspruch nicht mehr der Wirklichkeit. Diakonie und Caritas sind große Wirtschaftsunternehmen und müssen auf einem hart umkämpften Markt bestehen. Und so arbeiten mittlerweile auch einige kirchliche Betriebe mit Sekretärinnen von Zeitarbeitsfirmen und Putzfrauen von Leiharbeitsfirmen. Und die arbeitsrechtlichen Kommissionen sind zwar formal paritätisch besetzt, doch die Arbeitnehmervertreter sind nur selten geschult für diese Aufgabe und oftmals keine echten Streitpartner der Arbeitgeber. Man bemüht sich seit ein paar Jahren, diese Missstände zu beheben. Hätte man sich früher gekümmert, wäre es womöglich gar nicht zu dem Gerichtsverfahren gekommen. Wer Sonderrechte beansprucht, muss eben auch besonders vorbildlich sein.

Aber ist das Urteil von Dienstag wirklich so katastrophal, wie Kirchenvertreter suggerieren? Der Richterspruch hindert die Kirchen nicht daran, an ihrem Anspruch festzuhalten, einen eigenen Weg zu gehen, sich positiv abzuheben von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen. Aber dafür ist nicht ausschlaggebend, ob Ärzte und Krankenschwestern streiken dürfen, oder ob sie bei Verdi engagiert sind. Für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten, auch wenn es dem Arbeitgeber wehtut, ist nichts Unchristliches.

Viel wichtiger wäre es, dass sich das besondere, christliche „Etwas“ im Umgang mit den Menschen zeigt – in der Qualität der Pflege, in der besonderen Hinwendung, in der Empathie und Offenheit für arme, kranke und beladene Menschen. Darin, dass Mitarbeiter in einem christlichen Krankenhaus andere Antworten haben auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Dass sie zuhören und da sind, ohne gleich hochzurechnen, wie viel sie daran verdienen. Das ist der Anspruch. Den sollten die Kirchen nicht aufgeben, sonst werden sie tatsächlich ununterscheidbar.

Der Feind der Kirchen sind nicht die Gewerkschaften und für die Gewerkschaften sind es nicht die Kirchen. Der Feind sind die niedrigen Pflegesätze. Dort, wo sie ausgehandelt werden, müssen Verdi und die Kirchen gemeinsam Überzeugungsarbeit leisten. Und bei uns allen, die wir uns fragen sollten: Wie viel ist uns die Pflege wert? Wie viel darf der menschenwürdige Umgang miteinander kosten?

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