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Meinung: Kampf der Kulturen

Union und FDP tun sich so schwer bei der Auswahl eines Bundespräsidenten, weil sie unterschiedliche politische Rituale haben

Von Robert Birnbaum

Als die ersten Weißen vor ein paar Jahrhunderten zum ersten Mal die Dunkelhäutigen im Südpazifik trafen, löste das auf beiden Seiten Verwunderung aus. Die Dunklen staunten, dass ihnen die Ankömmlinge die Hand hinstreckten. Die Weißen waren indigniert, dass die Hausherren sie mit weit heraus gestreckter Zunge empfingen. Es hat eine Weile gedauert, bis einer die Zeichensprache des anderen wenigstens nicht mehr grob missverstand. Die Erfahrungen, die Union und FDP miteinander haben, sind vergleichsweise reichhaltiger. Trotzdem – ein Stück vom Unverständnis fremder Kulturen steht auch zwischen den drei „bürgerlichen“ Parteien. Es ist ein Grund dafür, dass sie sich so schwer mit einer gemeinsamen Lösung für die Bundespräsidentenfrage tun.

Damit wir nicht zu abstrakt bleiben, ein paar Beispiele. Mit aufrichtiger Verblüffung, ja Anzeichen von Beleidigung, registriert die CDU-Spitze, dass die FDP in Hamburg ihren Wahlkampf vorrangig gegen den bisherigen Regierungspartner CDU richtet. Schwere Zweifel an der Geschäftsfähigkeit und am Kooperationswillen der Liberalen löst bei CDU und CSU die Drohung des hessischen FDP-Fraktionschefs Hahn aus, entweder wähle die Union den FDP-Mann Gerhardt mit oder die FDP nutze eine „andere Option“. Umgekehrt grollt die FDP-Führung wochenlang über Bemerkungen aus dem Unionslager, der Größere habe ein natürliches Anrecht, den Kandidaten zu stellen.

Das Problem ist nicht, dass dies Teile der üblichen und jedem Parteipolitiker vertrauten Macht- und Einflussspiele sind. Das Problem liegt darin, dass die einen die Spielregeln der anderen nicht kennen. Sechs Jahre Opposition haben da vieles auseinander leben lassen. Zum Beispiel tut sich die Union schwer mit der liberalen Kultur der routinemäßigen Illoyalität. Dass ein CDU-, gar ein CSU-Parteichef von den eigenen Leuten bis hinab zu Landespolitikern der vierten Reihe ständig herausgefordert wird, ist in der Tradition der Union nicht vorstellbar. Entweder setzt das irgendwann Klassenkeile für die Herausforderer, oder der Chef muss gehen. Bei den Freien Demokraten ist der Brauch exakt umgekehrt: Ein FDP-Chef kennt gar nichts anderes als dass alle anderen lauthals unbotmäßig sind. Das ist Genscher und Lambsdorff genauso ergangen wie jetzt Westerwelle. Trotzdem fallen zentrale Entscheidungen am Ende oft einmütig; es bedurfte schon der Macht und Renitenz eines Möllemann, das auch noch zu hintertreiben.

Auf der anderen Seite missversteht und neidet die FDP gewöhnlich den Volksparteien CDU und CSU ihr Selbstbewusstsein. Zwar herrscht unter den schwarzen Schwestern ebenso Zank, wer die Nummer eins ist. Aber das Gerangel hat auch rituell-verspielte Züge, denn beide wissen: Mal sind die Berliner vorneweg, mal die Bayern, aber Schaden nimmt dabei keiner. Im freidemokratischen Gemüt hingegen ist die Sorge tief verankert, dass die FDP andauernd wo nicht um ihre Existenz, so doch mindestens um ihre Bedeutung fürchten muss. Der Jubel der Basis über das „Projekt 18“ beruhte auf dem Versprechen, der Partei diese Angst auf ewig zu nehmen. Jede Rauferei, bei der die Union ihre Größe ins Spiel bringt, rührt wieder an diesen Nerv. Jeder Verdacht, da wolle jemand das Koch-und-Kellner-Spiel durchexerzieren, löst Trotzreaktionen aus – die eine Parteiführung in Rechnung stellen muss, aber auch fest in Rechnung stellen kann.

Und die Lösung? Zwischen Südseevölkern und Welteroberern ist die Sache bekanntlich so ausgegangen, dass die stärkeren Weißen sich am Ende durchsetzten. Nur sind vorher einige von ihnen im Kochtopf gelandet.

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