
© dpa/Kay Nietfeld
Kanzler mit Augenklappe: Gestürzt, geschunden, auf einmal geliebt?
Olaf Scholz, der „Scholzomat“; der Arbeitsroboter, der Sätze stanzt – so ist das Bild von ihm. Nun nicht mehr. Wer den Schaden hat, kann auch ein neues Bild von sich prägen.

Stand:
Er läuft bis zu dreimal pro Woche. Jetzt ist er gestürzt, gestolpert, hat sich nicht rechtzeitig abstützen können. Sein Gesicht ist lädiert, sein Auge geschwollen, wie sehr, das verdeckt eine Augenklappe. Die Rede ist von - einem Normalbürger. Einem von uns, gewissermaßen. Einem, dem das mal passieren kann. Dumme Sache.
Nur ist er der Kanzler. Und plötzlich sieht die Sache anders aus. Olaf Scholz, Respektsperson. Eine auf Abstand. Auf den er ja auch hält. Der da oben. Und jetzt auf einmal unten?
Ja, aber nicht das Unten, das Schadenfreude mit sich bringt. Sondern Mitgefühl, Mitleid, Mitleiden. Das muss doch weh tun! Tut es auch, aber es hilft ja nichts. Er muss weitermachen. Macht er auch. Wie alle, wie wir, wenn der Arzt nicht Nein sagt.
Ist das nicht tröstlich? Für uns - und für ihn. Scholz, der „Scholzomat“; der Arbeitsroboter, der Sätze stanzt. Wirf einen Euro hinein, du bekommst für einen Euro Wörter heraus - so ist das Bild von ihm. Für viele eher unsympathisch. Nun nicht mehr, nicht mehr ganz so. Wer den Schaden hat - der hat nicht nur den Spott auf seiner Seite. Der kann auch ein neues Bild von sich prägen.
Ein Foto geht um die Welt: Der lächelnde Pirat. Captain, my captain.
Er klagt nicht. Macht stattdessen ein selbstironisches Bild von sich. Schickt es in die Welt, schickt es uns - Bürger Scholz an die Adresse seiner Mitbürger.
Und es läuft schon um die Welt: Der lächelnde Pirat. Captain, my captain. Oder ein bisschen wie Mosche Dayan, der große israelische Verteidigungsminister aus dem Sechs-Tage-Krieg. Was irgendwie auch zur Zeit passt. Selbst wenn es lange her ist.
So wird die Augenklappe vom Privaten zum Politikum. Die Distanz zwischen Regierten und Regierendem, die von Amts wegen, wird durch seinen verunglückten Lauf geringer. Die abgewetzte Aktentasche hat es nicht geschafft. Sein Glück im Unglück: Unser Blick auf ihn wird weicher. Für den Augenblick.
Aber Scholz muss weitermachen. Muss wieder in die Welt hinaus. Joe Biden treffen. Ja, es hilft nichts. Die Zeit hält nicht an. Der Abstand wird darum wieder wachsen. Wie von selbst.
Die Augenklappe aber erinnert daran, auch ihn: Er ist einer von uns. Manchmal fallen wir über die eigenen Füße. Und brauchen Hilfe, um wieder hochzukommen. Selbst er, der Kanzler.
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