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Meinung: Hamas – Wölfe im Wolfspelz

Wer demokratisch gewählt wird, ist noch lange kein Demokrat Von Bassam Tibi

Es sind nicht die europäischen oder amerikanischen Skeptiker, sondern Kommentatoren der arabischen Zeitung „Al Hajat“, die beanstanden, dass Demokratie von manchen Muslimen als bloßes Instrument zum Machterwerb missbraucht wird. Denn Demokratie ist eine politische Kultur, schreibt Ali al Rubaii. Wenn man die arabische Demokratiedebatte resümiere, lasse sich festhalten, dass die Hauptströmungen entweder eine Ablehnung oder eine instrumentelle Annahme der Demokratie vertreten.

In „Al Hajat“ steht, dass nur wenige Araber Demokratie als politische Kultur akzeptieren. Wer die Hamas-Charta lesen kann, der findet das eindeutige Bekenntnis der Hamas zum Antisemitismus und zum gewalttätigen Dschihad, nicht aber zur Demokratie. Durch Umdeutungen lässt sich dies nicht herunterspielen. Wer Hannah Arendt gelesen hat, weiß, dass der Antisemitismus Bestandteil eines jeden Totalitarismus ist. Der Islamismus wiederum ist die dritte (nach Hitler-Faschismus und Stalinismus) Spielart des Totalitarismus. Er geht geschichtlich und politisch auf die 1928 in Kairo gegründete Muslimbruderschaft zurück. Die Hamas ist aus dem palästinensischen Zweig dieser transnationalen Bewegung hervorgegangen.

Zu den Katechismen des Islamismus gehört die Schrift „Unser Kampf gegen die Juden“ von Sayyid Qutb, der als geistiger Vater des Islamismus gilt. Wenn Hamas die drei Forderungen der internationalen Gemeinschaft ablehnt, nämlich der Gewalt abzuschwören, Israel anzuerkennen und bestehende israelisch-palästinensische Verträge zu akzeptieren, dann reflektiert das die Ideologie dieser Bewegung.

Hätten die Europäer früh genug „Mein Kampf“ gelesen und ernst genommen, dann hätten sie früh genug gewusst, was Europa bevorsteht. Dies gilt ebenso für die demokratische Machteroberung der Nazis 1933, die zu keiner Zähmung der NSDAP geführt hat. Warum lernen die Europäer nichts aus der Geschichte? Warum lesen sie nicht die Hamas-Charta, ehe sie über Politik in Nahost reden?

In Grundkursen über Demokratie lernen Studenten, dass sie zwei Elemente hat: Einmal die Wahlprozedur und dann grundlegend als politische Kultur, beide sind nicht voneinander zu trennen. Sowohl die Charta der Hamas als auch alle Handlungen dieser Terrororganisation stehen in eklatantem Widerspruch zur Demokratie als Kultur des Pluralismus und der Zivilgesellschaft. Warum sollte ein Wahlsieg zu einem Umschwenken dieser totalitären antisemitischen Bewegung beitragen und den Umgang mit ihr rechtfertigen? Was Politikstudenten im ersten Semester lernen, scheint dem ehemaligen schwedischen Premier Carl Bildt und der ehemaligen spanischen Außenministerin Anna Palacio nicht geläufig zu sein; beide schrieben in der „Financial Times“ nach dem Hamas-Sieg, nun habe die Demokratie bei den Palästinensern gesiegt; die Welt sollte endlich aufhören, Israel als einzige Demokratie in der Region zu zelebrieren.

In Israel sitzen Araber in der Knesset und wenn der Likud die Rechte dieser Parlamentarier beschneidet, können die das Verfassungsgericht anrufen und gewinnen, wie sie es bereits getan haben. Dagegen haben die Abgeordneten von Hamas in einer ihrer ersten Sitzungen die Abschaffung des politischen Verfassungsgerichts beschlossen. Hamas ruft zur Ausrottung der Juden, nicht zu deren Eingliederung in ein palästinensisches Parlament auf. Ist das die palästinensische Demokratie, die Bildt, Palacio und gleichgesinnte Europäer beeindruckt?

Nach dem letzten Anschlag des Islamischen Dschihad gegen israelische Zivilisten hat die demokratisch zur Macht gelangte Hamas diese Gewalt als „legitimen Widerstand“ verteidigt. Die jüngste Botschaft von Hamas war eine Drohung ihres zweiten Führers in Damaskus, Mussa Abu Marsuk, an Europa und die USA: Wenn beide weiterhin die Hamas-Regierung durch Einstellung der Finanzhilfe schwächen, werde es „ eine Intifada mit noch intensiverer Gewalt als je zuvor geben“. Wenn Europa Selbstrespekt hat und wirklich aus dem Mord an den Juden gelernt hat, wird es aufhören, sich die Option auf eine Appeasement-Strategie gegenüber Hamas offen zu halten.

Der Autor ist Professor an der Cornell University im Staat New York.

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