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Meinung: Schafft den Schulzwang ab!

In der globalisierten Welt brauchen Kinder das Recht auf Heimunterricht Von Birgitta vom Lehn

Meine erste Begegnung mit dem Thema „Homeschooling“ fand am Rande eines Fußballfelds statt. Zwei Jugendteams jagten dem Ball hinterher, ich kam mit der Mutter eines zwölfjährigen Torwarts ins Gespräch, die mit weiteren drei Kindern am Spielfeldrand stand. „Auf welche Schule gehen die Kleinen denn?“, fragte ich beiläufig. „Auf gar keine“, lautete die Antwort. „Sie lernen zu Hause, mit einem computergestützten Fernlernprogramm. In der Küche machen wir Chemie- und Physikexperimente, die Grundrechenarten habe ich den Kindern mit Würfelspielen am Wohnzimmertisch beigebracht.“

Rina – so heißt die Mutter – ist kein Einzelfall. Immer mehr engagierte, aufgeschlossene Eltern wollen ihre Kinder daheim ausbilden, sie vom Schulzwang befreien. Dafür kämpfen sie im 2006 gegründeten „Netzwerk Bildungsfreiheit“, das vom 27. bis 29. April auf Burg Rothenfels am Main sein Zweites Internationales Kolloquium „Home Education“ ausrichtet.

Lernen ohne Schule? Ohne professionelle Lehrer? Ohne Mitschüler? Bis zur Begegnung mit Rina standen mir bei dieser Vorstellung Bilder von strengen Vätern und unterwürfigen Müttern vor Augen, die ihre Kinder aus Angst vor Sexualkunde und Schwimmunterricht, jedenfalls in religiös-fanatischer Absicht, in die eigenen vier Wände sperren wollten. Und die dann – zu Recht, wie ich fand – die starke Hand des Staates zu spüren bekamen. Das gleiche Bild dürfte in den Köpfen vieler deutscher Bildungspolitiker herumspuken. Denn Heimunterricht ist in Deutschland illegal. In keinem anderen europäischen Staat, ganz zu schweigen von den USA, wird die Schulpflicht derart streng ausgelegt. Andernorts respektiert man das persönliche Recht auf außerschulische Bildung.

So global und vernetzt, wie sich unsere Wirtschaft das wünscht, sind wir Deutschen eben noch nicht. Wir haben gerade mal gelernt, mit dem Internet umzugehen, aber noch nicht begriffen, dass sich mit der Entgrenzung unserer Arbeitswelt auch unsere regional beschränkte Bildungswelt öffnen muss. Wir können unseren Kindern nicht verbieten, was von uns Erwachsenen längst verlangt wird: Den Laptop und die häuslichen Zelte an jedem beliebigen Ort der Welt aufzuschlagen.

Rina ist gebürtige Londonerin und studierte Lehrerin, ihr Mann Südafrikaner und hoch spezialisierter Luftfahrtingenieur. Sie sind das, was man Global Players nennt, ihr Lebensstil ist flexibel. So flexibel, wie es Frank Mattern, der neue Deutschlandchef von McKinsey, gerade erst im „Manager-Magazin“ von Deutschlands neuer Wissenschaftlergeneration verlangt hat: „Wir wollen nicht, dass die alle deutschtümelnd vor sich hinforschen. Sondern wir wollen, dass sie nach Amerika, nach China gehen und sich dort weiterentwickeln.“

Rinas Mann arbeitet rund um den Globus für verschiedene Flugzeugbauer. Und die Familie zieht ständig mit. Zuletzt haben sie in Seattle gelebt, wo Boeing sitzt, zwischendurch auch mal in Italien, jetzt in Bremen wegen Airbus. Für Robert und seine vier Jahre jüngere Schwester Rowena würde das ständige Schulwechsel bedeuten. Immer neue Klassen, neue Lehrer, neue Lehrpläne. Das wollten die Eltern ihren gut und schnell lernenden, fließend Deutsch und Englisch sprechenden Kindern ersparen.

In den USA ist es nichts Ungewöhnliches, daheim zu lernen. Dort gibt es spezielle Computerprogramme zum Fernlernen. Hierzulande ist das für Schüler nur in Ausnahmefällen gestattet, zum Beispiel bei Krankheit oder wenn die Familie im Ausland lebt.

„Homeschooling ist ein Menschenrecht“, stellte die norwegische Bildungsministerin Kristin Clement kürzlich klar. Und der UN-Berichterstatter Vernon Munoz Villalobos monierte, dass dieses Menschenrecht deutschen Kindern vorenthalten wird. Kritisiert wird er dafür von deutschen Bildungsfunktionären, die für sich beanspruchen, die Welt gründlicher zu kennen als der Professor aus Costa Rica. Mitunter ist aber der Blick von außen nicht so verstellt wie der von innen. Der Karibikprofessor hat recht. Er ist ein bisschen mehr in der Welt herumgekommen als so mancher deutscher Beamte oder Politiker, der auf Reisen nicht dazu kommt, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Denn Homeschooling findet, wie der Name schon sagt, in den eigenen vier Wänden statt – und nicht in feinen Hotelsuiten.

Birgitta vom Lehn ist freie Journalistin.

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