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Leserbrief zum Berliner Verkehr: Für eine durchaus große Bevölkerungsgruppe sind Autofahrer der Feind
Unser Leser fragt sich, ob zu schnelles Fahren wirklich das Problem Berlins sei. Oder nicht eher fehlende Wirtschaftskraft und verfallende Infrastruktur. Und wie sehen Sie’s?
Stand:
Anlässlich der heutigen Aufforderung in Ihrer Onlineausgabe, seine Meinung zu einem Artikel zu senden, erlaube ich mir folgende Stellungnahme: „Mehr Einnahmen und mehr Sicherheit für Berlin – auch durch mehr Blitzer“, so lese ich es heute im Tagesspiegel, der einen entsprechenden Leserbrief auf die Onlineausgabe gestellt hat.
„Mehr Einnahmen“, das ist wohl das Motto praktisch aller deutschen Regierungen seit etwa zwei Jahrzehnten. Hat das dem Land geholfen? Hat das der Stadt geholfen? Besser ist es nicht geworden: „Berliner Theater in Finanznot – jetzt wird es ernst“, titelte der Tagesspiegel vor ein paar Wochen. Theater schließen, aber auch Krankenhäuser werden weniger. Alles wird teuer, der Einzelhandel klagt nicht mehr, er gibt auf.
Und die Infrastruktur verfällt, die Stadt wird hässlicher. Wo kein Verkehr ist, erfolgt Verödung. Und das mit der Sicherheit? „Verkehrsachse in Berlin auf Jahre unterbrochen“, „Berliner Bezirk gegen Durchgangsverkehr: Neuer Kiezblock bringt Poller an drei Stellen in Prenzlauer Berg“ und heute „Stau im Berliner Osten – bis zu 60 Minuten Verzögerung“. Ist da zu schnelles Fahren das Problem? Wirklich?
Wir haben in Berlin eine durchaus große Bevölkerungsgruppe, für die Autofahrer der Feind, mindestens aber eine Quelle unbegrenzter Geldmittel sind. Daher erscheint vielen die Forderung nach mehr Strafen und mehr Gebühren als ganz natürlich.
Aber seien wir ehrlich, im Zeitalter des Home Office fährt niemand mehr freiwillig durch die Stadt – man fährt, weil man es muss. Spaß macht das nicht. Und das Geld derer, die fahren müssen, ist auch nicht unbeschränkt vorhanden. Genug von denen, die mit dem Auto in der Stadt unterwegs sind, haben nicht genug Geld und nicht genug Zeit, kämpfen in diesen Tagen um ihre Existenz.
So natürlich diese Politik gegen das Auto erscheint, so sehr hat sie das Leben in den letzten zwanzig Jahren für viele Menschen schwerer gemacht – gerade für die mit anspruchsvollem Job und Familie. Typischerweise trifft das Menschen, die nicht viel Zeit für Leserbriefe haben, geschweige denn für politisches Engagement oder gar Aktivismus.
Es wäre die Verantwortung der Medien, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Die, die anderen in dieser Stadt seit zwei Jahrzehnten das Leben immer schwerer machen, die sind schon laut genug. Und sie haben der Stadt und deren Menschen genug Schaden gebracht.
Nicht nur für die Autofahrer, auch für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Stadt, die wir brauchen, um uns Theater und viele andere schöne Dinge leisten zu können. So darf es nicht weitergehen, mit der Politik, die einem ganz natürlich erscheint. Niclas Grabowski
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