Lesermeinung: „Das ist unsere ostdeutsche Identität“
Zu: „Es war ein Kreuz“, Manche haben den 18. März 1990 immer noch nicht verstanden, den Tag, an dem die ersten und letzten freien Wahlen der DDR stattfanden.
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Zu: „Es war ein Kreuz“, Manche haben den 18. März 1990 immer noch nicht verstanden, den Tag, an dem die ersten und letzten freien Wahlen der DDR stattfanden. Manche schämen sich. Und einer drehte einen Film darüber, wie die CSU in Sachsen Wahlkampf machte 17.3. 2010
Der Artikel über die ersten und einzigen Wahlen in der DDR am 18. März 1990 und über den Filmemacher Thomas Grimm zeigt, zu welch verschrobenen Aussagen intellektuelle Überheblichkeit gepaart mit Wunschdenken und Weltfremdheit bei der Einschätzung historischer Ereignisse führen kann. Natürlich waren die meisten DDR-Bürger ferngeprägt auf die SPD Willi Brands. Die große Mehrheit wollte aber auch eine schnelle Wiedervereinigung mit Gefühl und Verstand und nicht in der Hoffnung auf schnellen, anstrengungslosen Konsum. Der Wahlkampf, der auch vom Westen aus geführt wurde, zeigte aber bald sehr deutlich, dass die Führungselite der SPD aus Krämerseelen bestand, die meinten, eine schnelle Wiedervereinigung wäre zu teuer, und die nicht erkannten, dass ein längeres Nebeneinander von BRD und DDR nicht möglich gewesen wäre. Hingegen die Mehrheit der DDR-Bürger war sich der Fakten sehr schnell bewusst. Deshalb erfolgte die massive Wählerwanderung zum Bündnis „Allianz für Deutschland“, trotz und nicht wegen des Auftretens einiger primitiver Demagogen. Die Mehrheit wollte nach 40 Jahren DDR endlich auf der richtigen Seite der Geschichte stehen und keine neuen sozialistischen Experimente. Wir wollten nicht länger „Deutsche zweiter Klasse“ sein.
Was das Bewusstsein des Verlierens angeht, so kann ich dieses Phänomen bis heute weder bei Bekannten im Westen noch im Osten beobachten. Natürlich gab es in den Neuen Bundesländern Probleme, fast jeder musste den beruflichen Neuanfang wagen. Aber auch die Alten Länder sind kein Schlaraffenland. Vereinigungsbedingte Schwerstdepression ist mir bis heute nicht begegnet. Im Gegenteil: Viele heute 40 bis 50-Jährige haben eine berufliche Entwicklung genommen, an die in der DDR nicht einmal im Traum zu denken gewesen wäre. Wer sich für das Ergebnis der Wahl von 1990 schämt, hat wohl die Grundprinzipien der Demokratie nicht verstanden. Gerade diese Wahl zeigt, dass das Volk nicht dumm ist, sondern aus Gefühl und verstand richtig entscheidet. Zur schnellen Wiedervereinigung gab es – auch aus heutiger Sicht – keine Alternative.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es nach 20 Jahren an der Zeit ist, das Gemeinsame zu betonen und nicht das Trennende. Die DDR-Bürger konnten am 18. März 1990 weder sich selbst noch das eigene Herkommen oder ihre eigene Geschichte abwählen. Voraussetzung dafür wäre ja eine mehrheitliche Zustimmung der Bevölkerung zum SED-Regime gewesen und die gab es einfach nicht. Jeder, der nicht mit dem System einverstanden war, musste sich seine eigene private Nische suchen, in der er sein Leben – ohne sich selbst untreu zu werden – führen konnte.
Das ist unsere ostdeutsche Identität, unsere ostdeutsche Lebensleistung – und die wird uns von keiner Seite streitig gemacht.
Rüdiger Hohmann, Caputh
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