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Lesermeinung: Das Vermächtnis des Großvaters erfüllt

Der Übergabe von Fotos aus dem I. Weltkrieg in Frankreich sahen vier Potsdamer etwas beklommen entgegen, aber sie endete mit Freude auf „beiden Seiten“Mai 1918.

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Der Übergabe von Fotos aus dem I. Weltkrieg in Frankreich sahen vier Potsdamer etwas beklommen entgegen, aber sie endete mit Freude auf „beiden Seiten“

Mai 1918. Die Deutsche Armee bereitet ihre letzte Offensive des 1. Weltkrieges vor. Dazu muss sie die französischen Stellungen der Gegend um Nyon, St. Quentin und Compiègne aufklären. Otto Lehrmann ist einer der Fotografen, der Luftaufnahmen macht. Er versieht sie mit taktischen Zeichen, um sie für die Stabsoffiziere leichter lesbar zu machen. Sicher entgegen jeden Befehls fertigt er Kopien dieser Fotos an und sammelt sie in einem Album, das er nach Kriegsende mit in seine Heimatstadt Potsdam bringt.

Nach seinem und dem Tod seiner Tochter kommt das Album in die Hände Rainer Lehrmanns, seinem Enkel. Was soll er damit anfangen? Weitervererben? Wegwerfen? Nein! Er fühlt, die Bilder sollen dahin zurück, wo sie gemacht wurden. Er will das Vermächtnis des Großvaters erfüllen.

Immer wieder muss der gestellte Auftrag verschoben werden. Endlich, im September 2011, ist es soweit. Er reist mit seiner Frau und einem befreundeten Paar nach Frankreich. So richtig weiß die kleine Delegation nicht, wie sie es anstellen soll, den Kontakt zu den französischen Behörden herzustellen. Fest steht nur, dass die Stadt Compiègne das Album bekommen soll. Mehrere Panoramafotos aus der Sammlung zeigen die Stadt, mit zerstörten Brücken und Bauwerken. Und noch ein wichtiger Grund: In der Nähe wurde in einem dichten Wald, verborgen vor feindlichen Fliegern in einem Eisenbahnwaggon, im November 1918 der Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich unterzeichnet und das vier Jahre dauernde gegenseitige Morden beendet.

Mit Air France geht es zunächst nach Paris. Hier gönnen sich die vier einige Tage, um sich dann ein Auto zu mieten. In dem kleinen Örtchen Monchemont, in der Nähe Compiègnes, finden sie das verwunschene Chateau de Roberville, mit romantisch eingerichteten Zimmern als Herberge.

Gleich am ersten Abend in Monchemont wird mit dem Gastgeber über das Anliegen gesprochen und ihm auch das Album vorgelegt. Mit großem Interesse blättert er darin und bemerkt, dass in unmittelbarer Nähe des Ortes die Kampflinie verlief.

Zufall oder Fügung? Der Gastgeber ist mit der stellvertretenden Bürgermeisterin der Stadt Compiègne, Madame Arielle François, gut bekannt. Sofort wird ein Termin für ein Treffen im Rathaus vereinbart.

Am nächsten Tag wartet die kleine Abordnung mit Großvaters Album unter dem Arm aufgeregt vor der Rathaustür. Wie wird man empfangen? Förmlich, höflich, distanziert? Dann öffnet sich die Tür und die kleine, quicklebendige und charmante Madam Arielle François empfängt sie überaus herzlich, mit den in Frankreich üblichen Wangenküssen. Zugegen ist auch eine Dame der Deutschen Kriegsgräberfürsorge, die in Bremen geboren wurde, sich auf der Suche nach dem Grab ihres Großvaters in Compiègne in einen Franzosen verliebt hat und nun hier lebt.

Welch Glück, nun kann das Anliegen gegenüber der Stadtverwaltung mit den notwendigen Erklärungen und Nuancierungen deutlich gemacht werden. Später kommen Bürger- und Oberbürgermeister hinzu. Alle spüren, hier passiert etwas Bemerkenswertes. Die Geste wird verstanden, wie sie gedacht war. Die Mitglieder der kleinen deutschen Abordnung fühlen sich willkommen und mit ihrem Anliegen ernst- und angenommen.

Nach einer Führung durch die Repräsentationsräume des Rathauses verabschieden sich alle so herzlich voneinander, als wären sie schon immer miteinander bekannt. Mit Beklemmungen gekommen, nun aber mit Freude, Dankbarkeit und übervollem Herzen verließ die kleine deutsche Abordnung das Rathaus. Das Unternehmen, Großvaters Vermächtnis in die richtigen Hände zu geben, war geglückt.

Mit guten Erinnerungen an Frankreich, es genossen zu haben von Kriegsbedrängnis frei, sich als Europäer zu fühlen, kehrten die Vier mit heimatlicher Vorfreude in das vertraute Land Brandenburg zurück. Auch mit dem guten Gedanken, Otto Lehrmanns Vermächtnis und das der vielen anderen Väter und Großväter erfüllt zu haben.

Volker Heise, Potsdam

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