Lesermeinung: Die Not der Ostdeutschen
Falsches Bild über die DDR, 26.7.
Stand:
Falsches Bild über die DDR, 26.7. 2008
„Das war mein Leben in der DDR. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Denn ich war jung. Und ich war verliebt.“ So endet der Film „Sonnenallee“. Und das ist die Not der DDR-Bürger: Dass sie im Osten gelebt haben, als sie jung und verliebt waren. Dass viele die schönste Zeit ihres Lebens in der DDR zugebracht haben. Und dass sie sich das nicht haben aussuchen können. Und dass sich nun alles vermischt, das Private und das Öffentliche. Und das Persönliche nicht so einfach aus dem Offiziellen herauszulösen ist. Ein Geflecht halt von „richtigem Leben im falschen“. Und deshalb spricht sich''s im Osten schwerer über die Diktatur als im Westen. Weil die politisch korrekte Beschreibung der DDR als Diktatur (und obendrein als piefig-miefige Kleinbürgeridylle) die Gefahr in sich zu bergen scheint, die eigene Biografie zu beschädigen oder zu entwerten. Als ich am 3. Oktober 1990 auf dem Dorfplatz von Netzen zur Feier der deutschen Einheit die Festrede halten durfte, habe ich versucht, den aufmerksamen Zuhörern genau diesen Gedanken nahe zu bringen: Die DDR ist gescheitert! Nicht ihr seid es! Theoretisch richtig bis heute. Praktisch aber oft schwer nachzuvollziehen. Weil unser richtiges Leben, halt im falschen gelebt werden musste. Deshalb muss man nachsichtig sein mit den Ostdeutschen. Und deshalb haben es Eltern und Lehrer in Bayern oder Nordrhein-Westfalen einfacher. Sie haben schon immer auf „der richtigen Seite“ gelebt. Nicht aus eigenem Verdienst (wie wir später), sondern einem Zufall der Geschichte geschuldet. Ohne eigene Betroffenheit lässt sich''s leicht reden über Geschichte und über Geschichten. Wenn aber tatsächlich immer mehr Menschen im Osten verzweifelt ihre unerfüllten Wünsche nach gesellschaftlicher Teilhabe in die DDR zurück projizieren, muss Ostalgie-Kritik zur Gesellschaftskritik werden! Der Jesuitenschüler Heiner Geißler (CDU) brachte es neulich, schlicht aber treffend, auf den Punkt: „Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus“. Wenn denn die Schönbohms dieser Welt eines Tages von ihrem hohen westdeutschen Ross heruntersteigen, könnte aus diesem gespaltenen Lande doch noch ein geeintes werden. „Wir laden die Deutschen in der Bundesrepublik ein, auf eine Umgestaltung ihrer Gesellschaft hinzuwirken, die eine neue Einheit des deutschen Volke ermöglichen könnte." – so stand es im „Aufruf der Bürgerbewegung DEMOKRATIE JETZT am 12. September 1989, den ich mitunterzeichnet hatte.
Andreas Kuhnert, Lehnin
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