Lesermeinung: Die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur
Sieben mal zwei Meter, 29.11.
Stand:
Sieben mal zwei Meter, 29.11. 2008
Die PNN berichtet von einem Zeitzeugenbesuch in einer Kleinmachnower Schule. Die Reaktionen der Klasse und der jungen Lehrerin sind typisch für das Generationen übergreifende fehlende Bewusstsein der Unterschiede von Demokratie und Diktatur. Da wird aus der friedlichen Revolution 1988/89 schnell eine harmlose „Wende“. Die ersten reden schon von der „Niederlage“ 1989. An dem Satz des Schülers: „Aber heute auf friedlichen Demos schlagen die Bullen auch einfach zu“ könnte versucht werden, den Unterschied zwischen der DDR und einem demokratischen Rechtsstaat klarzumachen. Im letzteren gibt es das Demonstrationsrecht, in einer Diktatur nicht. Dass Polizisten prügeln und Gefängniswärter foltern, gibt es in Demokratien und Diktaturen. In einem Rechtsstaat besteht aber die Chance, dass eine freie Presse Skandale aufdeckt. Von einer freien Presse in der DDR haben nur linksextreme Westberliner Studenten in den 70er Jahren geschwärmt. Im Rechtsstaat besteht die Möglichkeit der juristischen Aufarbeitung. In der SED-Diktatur waren Anwälte und Gerichte Instrumente der Partei. Zur Bekämpfung der friedlichen Demonstranten in Leipzig ließ die SED Fallschirmjäger aus Lehnin verlegen. Als die jungen Männer erfuhren, wozu man sie beinahe eingesetzt hätte, demolierten sie ihre Kaserne. Sie hatten mehr verstanden als die Kleinmachnower Lehrerin. Man kann sogar an Gorleben, Heiligendamm oder BKA-Gesetz zeigen, dass es nicht nur graduelle Unterschiede zwischen einer Demokratie und der DDR gibt. Aber bleiben wir am „Fall“ Popp und vergleichen weiter: Was wäre, wenn die Sprayer, die das Rathaus Potsdam kürzlich beschmiert haben, zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden wären? Wenn sie von der Schule verwiesen worden wären? Wenn Herren in Kunstlederjacken die Klassenlehrer und die Väter eindringlich, mit Verweis auf gefährdete Karrierechancen, um Berichte gebeten hätten? Churchills Spruch „Demokratie ist eine schlechte Regierungsform, aber ich kenne keine bessere“ taugt gut für den Unterricht. Die Auseinandersetzung zwischen Parteien und die Beachtung rechtsstaatlicher Spielregeln sind allemal besser als die Herrschaft einer Partei, besser als Freund-Feind-Denken, Ausgrenzung und Vernichtung von Abweichlern. Sind besser als Träume von Utopien, die in Terror umschlagen. Über dem Eingangstor des sowjetischen KZs Solowki im Weißen Meer, drei Jahre nach der Oktoberrevolution eröffnet, stand: „Lasst uns mit eiserner Hand die Menschheit ihrem Glück entgegen treiben.“
Günter Schlamp, Potsdam
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: