Lesermeinung: „Elitedemokraten á la Schönbohm“
Schönbohm gegen DDR-Verherrlichung 23.6.
Stand:
Schönbohm gegen DDR-Verherrlichung 23.6. 2008
Die Distanz der Ostdeutschen hat Gründe – das Desinteresse der Westdeutschen ist nur einer davon. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren die Forderungen der bürgerlichen Revolution. Freiheit? Erklären Sie mal einem Hartz-IV-Empfänger die Vorteile der „Reisefreiheit“! Gleichheit? Einen gleichen Lohn gibt es weder in Ost und West, noch für Männer und Frauen!
Zur Brüderlichkeit: Der Ostteil Deutschlands trug die Reparationszahlungen fast allein und bekam 40 Jahre Diktatur dazu (ohne Marshallplan!). Außer verbalen Bekundungen bekamen wir keine Hilfe, als wir – und Ungarn, die CSSR und Polen – es mit einer militärischen Weltmacht aufnahmen. Dafür bekommen wir heute zu hören: „Durchfüttern?“ „Die haben doch nix eingezahlt!“ Schönbohms Einheit wird es nie geben! Die Menschen haben nun mal die Eigenschaft, das „Gute“ im Gedächtnis zu bewahren. Deshalb werden sie Fahnenappelle, die Schüsse an der Grenze, stinkende Kartoffeln in der HO („Handelsorganisation“, Kurzbezeichnung in der DDR für Kaufhalle), Karl-Eduard von Schnitzler und vieles mehr niemals vergessen können.
Jörg-Detlef Ohrt, per E-Mail
Aufbauhelfer mit „Buschgeld“
Wenn er nicht so heuchlerisch wäre könnte einem Minister Schönbohm eigentlich Leid tun. Findet er doch für sein eigenes Versagen immer noch keine anderen Erklärungsmythen als die DDR-Geschichte. Eine „tief sitzende Ablehnung des marktwirtschaftlichen Systems“ will er als Gefahr für die Demokratie erkannt haben. Die Abwesenheit von bürgerlichen Eliten im Osten begünstige dies, behauptet er. Abgesehen davon, dass die sogenannte „Marktwirtschaft“ nur eine „nach unserer Verfassung mögliche, nicht aber die einzig denkbare Ordnung ist“ (Gustav Heinemann), sind es gerade die neoliberalen Eliten, in ihrer Anfälligkeit für Maßlosigkeit, welche die Wirtschaftsordnung in Misskredit bringen. Die Menschen im größtenteils entindustrialisierten und daher in weiten Regionen entvölkerten Osten haben die mit dem „Buschgeld“ ausgestatteten „Aufbauhelfer“ schnell einschätzen müssen – noch bevor hunderte Betrugsverfahren deren Qualitäten ruchbar machten. Hier gibt es eher zu viele als zu wenige Elitedemokraten á la Schönbohm. Sie täten gut daran, selbstkritisch die eigenen Leistungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu überprüfen.
Die Rekonstruktion vordemokratischer, preußischer Prunkfassaden, wie in Potsdam, trägt dazu wenig bei.
Axel Gundrum, Potsdam
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