Lesermeinung: „Großteil der Kinder und Jugendlichen lebt in sozialer Mangel-Situation“
Zu: „Rekord bei rechtsextremen Straftaten“, 17.2.
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Zu: „Rekord bei rechtsextremen Straftaten“, 17.2. Die Meldung über die gestiegene, rechtsmotivierte Gewaltkriminalität bei Jugendlichen im Land Brandenburg lässt aufhorchen. Die Frage, wie die hiesigen Eltern ihren Nachwuchs so erziehen können, dass aus ihnen moralisch gefestigte Bürger mit Achtung vor der Unverletzlichkeit der Mitmenschen werden, taucht abermals auf und will zeitgemäß beantwortet werden. Es ist zweifellos richtig, dass Arbeitslosigkeit eine Desorientierung hervorrufen kann, ein Abgleiten in kriminelle Subkulturen und eine Einlassung in eine ideologische Haltung befördert, die Feindbilder benennt, um sich emotional aggressiv zu entladen. Aber wenn es uns um die zeitgemäße Behandlung dieser Problematik geht, dann sollten gesellschaftlich aktuelle Bedingungen auf ihre Relevanz geprüft werden. Dabei interessieren besonders die Bedingungen, die Kinder in ihrer primären Sozialisation in der Familie betreffen. Nach Schätzungen des Deutschen Jugendinstitutes leben bundesweit zwischen 1 und 1,5 Millionen Kinder in so genannten Patchwork- Familien mit Väter, Mütter und Kindern aus unterschiedlichen Familien. Die Trennungssituationen, denen die Kinder ausgesetzt sind, implizieren den mehrmaligen Verlust einer elterlichen Bezugsperson, der Vertrauen und Liebe entgegengebracht wurde. Wenn ein Erwachsener sich vorstellt,welch nachhaltiger Schmerz der Verlust des Partners bedeutet, ist dies nur ein Bruchteil dessen, was ein Kind in der Trennungsphase durchmacht. Aber wie behandelt man ein gesellschaftliches strukturelles Familienproblem? Es gibt mittlerweile eine „krankhafte Normalbiographie“ von Menschen, deren Trennungsängste fundamentalisiert sind und eine psychische Disposition bilden, die kriminelle Tendenzen eher Vorschub leisten, als wenn sie in einer intakten Familie aufwachsen. In meiner Sozialarbeit ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in einer „intakten Familie“ aufwachsen, sehr gering. Wenn meine Befürchtung sich bewahrheitet, dass der Großteil von Kindern und Jugendlichen einer solchen sozialen Mangel-Situation (Deprivation) ausgesetzt ist oder war, dann gibt es ein „gesellschaftliches Leiden“, welches als „normal“ empfunden wird. Gregor Voehse, Sozialarbeiter, Diakonisches Werk Potsdam e.V.
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