Lesermeinung: Hartz-IV-Salär
Zu: „’Wir stehen unter Glaubwürdigkeitsdruck’“ – Interview mit Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs, 23.12.
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Zu: „’Wir stehen unter Glaubwürdigkeitsdruck’“ – Interview mit Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs, 23.12. 2009
Die letzte Antwort des Oberbürgermeisters ist an Kulturheuchelei kaum noch zu überbieten. Vom jetzigen Ministerpräsidenten wurde das damalige Orchester, die Brandenburgische Philharmonie Potsdam, wegen Geldmangel für überflüssig erklärt. Als einmalig in der Geschichte dieser Bundesrepublik gilt, dass ein intakter und voll funktionierter Klangkörper in einer Landeshauptstadt geschlossen wurde.
Ganz Kultur-Deutschland schüttelte damals den Kopf über solch eine Kulturbarbarei.
Nach zwei Jahren ohne Orchester wurde für den Nikolaisaal die Kammerakademie Potsdam ins Leben gerufen. Dort dürfen sogar sieben Kollegen aus der Brandenburgischen Philharmonie mitspielen. Übrigens warten noch sieben ehemalige Kollegen in Frankfurt auf ihre Abwicklung. Kulturland Brandenburg? Es muss der blanke Hohn für die Kollegen der Kammerakademie sein, wenn man für einzelne Projekte ein jämmerliches Salär bekommt und der Oberbürgermeister sagt, er würde dem Kammerorchester einen Bambi verleihen für „ihre besondere künstlerische Ausstrahlung für die Landeshauptstadt Potsdam“. Pech hat dann der Musiker, welcher im Dezember Klarinette spielt und bei Bach keine Stimme zu blasen hat. Dessen Kinder dürfen dann mit dem Bambi von Herrn Jakobs spielen.
Eine Landeshauptstadt Potsdam leistet sich ein Orchester ohne Tarifvertrag. Dies ist natürlich die billigste Variante und trauriges Vorbild für die restliche Republik. In Dresden wäre dies undenkbar.
Ähnlich wird mit den Kollegen des Filmorchester Babelsberg umgegangen. Es ist schon erstaunlich, wie leidensfähig ein Musiker im Lande Brandenburg ist, der für ein Harz-IV-Salär seine Familie über die Runden bringen muss.
Hochqualifizierte Instrumentalisten werden so von der Gesellschaft beziehungsweise von kulturresistenten Politikern verachtet.
Jürgen Immel, ehemaliger Orchestervorstand der Brandenburgischen Philharmonie Potsdam
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