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Lesermeinung: Ist der Gesundheitsfonds eine Fehlkonstruktion?

„Operation Gesundheitsfonds“von Sibylle Herbert vom 4. AugustVielen Dank für diesen wirklich aufschlussreichen Artikel.

Stand:

„Operation Gesundheitsfonds“

von Sibylle Herbert vom 4. August

Vielen Dank für diesen wirklich aufschlussreichen Artikel. Mit dem Gesundheitsfonds kommt auf uns Versicherte anscheinend wirklich etwas zu! Wenn die Finanzausstattung der Krankenkassen sich in Zukunft am „morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich“ (schon der Name klingt schrecklich) orientiert, werden die Kassen daran interessiert sein, möglichst viele kranke Mitglieder zu haben. Das ist doch pervers! Wer denkt sich so etwas nur aus? Die Krankenkassen dürfen letztlich gar kein Interesse mehr daran haben, dass wir gesund sind bzw. geheilt werden, weil das ihre Einnahmen schmälert. Das im Artikel genannte Beispiel mit dem etwas übergewichtigen Mann, der leichten Diabetes II hat und das durch eine Änderung seiner Gewohnheiten leicht in den Griff bekommen könnte, ist gut gewählt. Daran wird deutlich, dass die Kassen in Zukunft mit dem, wie man so schön sagt, Klammerbeutel gepudert sein müssten, wenn sie noch Geld für Präventionsmaßnahmen oder für die Aufklärung der Versicherten ausgeben würden.

Das Schlimmste ist, dass künftig alle Krankenkassen so arbeiten müssen, wenn sie finanziell gut ausgestattet über die Runden kommen wollen. Man hat als Versicherter also nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich eine bessere Krankenkasse zu suchen, wenn man mit den Leistungen seiner bisherigen nicht zufrieden ist. Viele Politiker, Sachverständige und auch die Krankenkassen haben doch mittlerweile gemerkt, dass der Gesundheitsfonds eine Fehlkonstruktion ist. Ich verstehe nicht, warum die Verantwortlichen nicht die Notbremse ziehen und diese „Gesundheits“-Reform noch einmal überdenken, statt jetzt Tatsachen zu schaffen, die dann nur noch schwer rückgängig zu machen sein werden. Wahre Größe hat, wer Fehler eingesteht!

Andreas Bock, Berlin-Schöneberg

Sehr geehrter Herr Bock,

Sie halten den Gesundheitsfonds für eine Fehlkonstruktion und fordern, ihn rückgängig zu machen. Insbesondere lehnen Sie die Verteilung der Mittel aus dem Fonds nach der Krankheitslast der Versicherten ab.

Es stimmt: Der Gesundheitsfonds bringt keine Lösung der Finanzprobleme der Krankenkassen. Er ist vielmehr ein politischer Kompromiss: Eine CDU/FDP-Regierung würde nach der nächsten Wahl den Fonds für den Übergang zu einem Pauschalprämienmodell nutzen, eine rot-rot-grüne Regierung würde darüber Solidarbeiträge auch von Privatversicherten einfordern.

Die Mittel des Gesundheitsfonds werden nach der Krankheitslast der Versicherten verteilt. Anders als Sie vermuten, wird dies allerdings nicht dazu führen, dass die Krankenkassen finanziell umso besser stehen, je mehr Kranke sie haben. Denn sie bekommen Zuweisungen jeweils in Höhe der Durchschnittsausgaben, die mit einer Krankheit verbunden sind. Die weitaus meisten Gesundheitsökonomen – national wie international – halten dies für einen richtigen Schritt. Bislang ist es so, dass eine Krankenkasse finanziell umso schlechter dasteht, je mehr Kranke sie versichert. Das Sinnvollste, was eine Krankenkasse heute machen kann, ist, sich auf Bevölkerungsgruppen mit gutem Gesundheitszustand zu konzentrieren. Aber können wir das wollen? Ich meine nein: Eine Krankenkasse sollte all ihre Kraft dazu verwenden, kluge Versorgungsverträge mit Arztnetzen, Krankenhäusern etc. zu schließen, um die Behandlung von Krankheiten zu verbessern. Das wird keine Krankenkasse tun, solange es ihr mit jedem zusätzlichen Kranken finanziell schlechter geht als vorher.

Es trifft zu, dass die Morbiditätsorientierung der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds Präventionsprogramme nicht belohnt. Die Kassen sind allerdings ohnehin zögerlich, Geld für Prävention auszugeben. Denn die „Erträge“ aus Prävention fallen erst in der Zukunft an. Ob der Versicherte bis dahin nicht schon die Krankenkasse gewechselt hat, ist unklar. Wenn wir wollen, dass die Krankenkassen Prävention besonders fördern, sollten wir nach meiner Meinung dafür gezielt zusätzliche Mittel zahlen.

Problematisch an der Ausgestaltung des Gesundheitsfonds ist vor allen Dingen etwas anderes: nämlich die Konstruktion der Härtefallklausel. Krankenkassen, die mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, müssen einen Zusatzbeitrag erheben. Wenn dieser höher als acht Euro liegt, muss aber kein Mitglied einer Kasse mehr als ein Prozent seines Einkommens dafür aufwenden. Bei Kassen mit zahlreichen Versicherten mit niedrigen Einkommen fehlt dann aber rasch viel Geld; umso höher muss der kalkulierte Zusatzbeitrag sein, um von den Gutverdienern die nötigen Finanzmittel zu bekommen. Damit hat die Höhe des Einkommens der Versicherten einen starken Einfluss auf die Höhe der Zusatzbeiträge der Krankenkassen – das verzerrt den Wettbewerb und ist in hohem Maße unsinnig. Wenn die Politik will, dass Geringverdiener durch den Zusatzbeitrag nicht belastet werden, müssten der Krankenkasse die mit der Härtefallklausel entstandenen Einnahmeausfälle (zum Beispiel aus dem Gesundheitsfonds) erstattet werden.

Fazit: Der Gesundheitsfonds hat Vor- und Nachteile. Notwendig ist er nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

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