Lesermeinung: Kulturhauptstadt: „Argumentation wie Wirtschaftsförderprogramm“
Offener Brief an den Präsidenten des Bundesrates, Herrn Matthias Platzeck Eine Vorentscheidung ist am 10. März gefallen.
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Offener Brief an den Präsidenten des Bundesrates, Herrn Matthias Platzeck Eine Vorentscheidung ist am 10. März gefallen. War es das schon für Essen und Görlitz? Und die anderen acht Bewerber sind aus dem Rennen? Nein! Denn diese Auswahl, der vom Bundesrat beauftragten Jury, ist lediglich eine Empfehlung, an die sich die Vertreter im Bundesrat nicht halten müssen. Die Empfehlung wird nicht mit den für alle Bewerber zugrunde liegenden Kulturparametern begründet, sondern enthält überwiegend wirtschaftliche Aspekte. Wenn es laut Pressemitteilung vom 11. März heißt, dass die zwei ausgewählten Städte „nicht nur Kultur haben, sondern in denen Kultur sein muss, um zu überleben“, so ist das eine Argumentation, die wie ein Wirtschaftsförderprogramm zu deuten ist. Das aber war von der Kultur-Jury nicht gefordert. Sie sollte nicht wirtschaftliche Kriterien in den Vordergrund stellen. Sie sollte ausschließlich Beiträge zur europäischen Kunst- und Geistesgeschichte, die Förderung vielfältiger kultureller Projekte, die Beteiligung der Bevölkerung, die Nachhaltigkeit, die touristische Wirkung, die Förderung eines internationalen Dialogs, die Herausstellung des historischen Erbes und die Lebensqualität in der jeweiligen Stadt bewerten und danach eine Bestenauslese treffen. Ich meine, dass diese Kriterien noch deutlicher für andere nicht vorgeschlagene Städte positiv hätten ins Gewicht fallen müssen. Eine weitere Frage ist, warum nur zwei und nicht die möglichen vier Städte für Brüssel vorgeschlagen wurden. Könnte es eine taktische Überlegung sein? Wenn beispielsweise Bremen, Lübeck oder Potsdam mit vorgeschlagen worden wären, könnte es dann sein, dass der Bekanntheitsgrad und die Strahlkraft dieser Städte bei der EU-Entscheidung die Bewerber Essen oder Görlitz verdrängt hätten? Die Vertreter des Bundesrates täten gut daran, die Benennungsquote von vier Städten auszuschöpfen, weil sonst die Entscheider der EU-Jury auf ziemlich durchsichtige Weise in ihrer Auswahl eingeengt werden. Verschiedene Publikumsbefragungen zeigen übrigens ein weit abweichendes Bild von dem der Kultur-Jury. Bei einer Forsa-Umfrage im Januar 2005 kam Potsdam auf den ersten Platz. Das musste der Jury bekannt gewesen sein. Dennoch hat sie anders votiert. Dieses Votum ist brüchig, hat den Anschein rein merkantiler oder sogar politischer Präferenzen und ist auf gar keinen Fall kulturrelevant geprägt. Aber es ist ja nur eine Empfehlung. Deshalb formuliere ich hier als engagierter Bürger meine Bitte an die wirklichen Entscheider, die Vertreter im Bundesrat: Ergänzen Sie bei Ihrer Entscheidung die einseitig verkürzte Vorschlagsliste um zwei weitere geeignete Bewerberstädte, damit die europäische Jury im nächsten Jahr in Brüssel eine breitere und bessere Entscheidungsbasis hat. Karl-Heinz Haufe, Schwielowsee
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