Lesermeinung: Letzte Chance für Gewerkschaften
Wollen die Gewerkschaften in Deutschland ihren Einfluss sowohl in Politik als auch Gesellschaft halten, wird sie wohl nur noch eine zünftige Notbremsung mit zusätzlichem Bremsfallschirm vor dem freien Fall ins Nirwana aufhalten. Eine Bestandsanalyse: Intern ist trotz (oder gerade wegen der) Verschmelzung zur Dienstleistungs-Gewerkschaft VerDi die Führung mehr uneins denn je.
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Wollen die Gewerkschaften in Deutschland ihren Einfluss sowohl in Politik als auch Gesellschaft halten, wird sie wohl nur noch eine zünftige Notbremsung mit zusätzlichem Bremsfallschirm vor dem freien Fall ins Nirwana aufhalten. Eine Bestandsanalyse: Intern ist trotz (oder gerade wegen der) Verschmelzung zur Dienstleistungs-Gewerkschaft VerDi die Führung mehr uneins denn je. Diese Schwäche wird zwar nach Außen nicht kommuniziert, aber sie ist offensichtlich und ein Hauptbestandteil der größten Mitgliederabwanderungen seit Bestehen dieser ehemals so wichtigen und richtigen Interessenvertretung. Der Trend hält unvermindert an. Gewerkschaftskritiker oder -gegner werden deshalb eine Abspaltung der ach so linken Sozialen mit Gewerkschaftsbuch extrem befürworten, denn beide Restgruppierung verschwänden in kürzester Zeit in der Bedeutungslosigkeit. Dabei ist es gar nicht so schwierig, sich neu und modern zu positionieren. Zumindest solange man sich nicht an Unternehmungen wie der Deutschen Bahn AG orientiert, dessen Zeche der Steuerzahler zu zahlen hat. Erst einmal muss die Zielgruppe des Dienstleisters Gewerkschaft neu bestimmt und erweitert werden. Das wachsende Heer der Arbeitslosen ist seit Jahren ohne Lobby für sich. Im Gegenteil, denn gerade die Blockadepolitik von Sommer & Co. vergrößert die Fangemeinde der Beschäftigungslosen tagtäglich. Damit nähme man bei DGB und Konsorten quasi im Vorbeigehen eine Haltung ein, die zum Entspannen einlädt. Denn nun erfolgt eine Interessenabwägung für (noch) Beschäftigte und Beschäftigung Suchende. Ein Umdenken ist vorprogrammiert. Mit dem Druck der Arbeitslosen kommt man nicht umhin, die Haltung der gewerkschaftlichen Arbeitsmarktpolitik für Mindestlöhne und Ladenschlussgesetz neu zu bestimmen. Es ist nicht einsehbar, dass, wie in fast ganz Europa üblich, der Tankwart keine Dienstleistung verrichten darf. Es ist hochgradig asozial, kleine Beschäftigungsverhältnisse kontrollieren und besteuern zu wollen. Der Deutsche an sich ist nicht faul und dumm, er darf der Gesellschaft das Gegenteil vor lauter Reglementierung nur nicht beweisen. Die Gewerkschaften haben nicht nur das seit den neunziger Jahren andauernde Abwandern von lohnintensiven Branchen in Länder mit extrem weniger gewerkschaftlichem Einfluss zu verantworten. Sie erst haben die vormals funktionierenden und bezahlbaren Berufe mit ihrem „Schutz- und Regelwahn“, übertriebenen Lohnforderungen und Flächentarifverträgen zu diesem Migrationsverhalten getrieben. Aber genau dieser Raubbau an der deutschen Volkswirtschaft ist zu beobachten. Jetzt setzt sich ein Trend in Bewegung, der diesem ersten Fluchtverhalten folgt. Nicht nur einzelne kapital- und wissensintensive Unternehmensteile entdecken ein fruchtbareres Umfeld, sondern selbst Unternehmen und deren Führungsetagen wandern ab. Die Folge: Das Knowhow wird woanders eingesetzt, die Heimat wird aufgegeben, der Teufel mit Beelzebub auszutreiben versucht. Die Regeln, statt sie zu lockern, werden noch verschärft und für alles der Kapitalismus und die Globalisierung zur Verantwortung gezogen. Die Gewerkschaften müssen Farbe bekennen und von sich von ihren Glaubensideologien und Phantastereien lösen. Einzig die Chance nutzend, den führerlos rasenden Zug unverzüglich zu stoppen und auszusteigen kann das bevorstehende Chaos, sowohl Deutschlands, aber gerade auch der Gewerkschaften, noch abwenden. Denn die Tage, bzw. die Schienen sind gezählt, der Zug rast auf den letzten Metern Gleis. Michael Henschke, Bielefeld
Michael Henschke
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