Lesermeinung: „Mit Verachtung für das Leben wurde in dieser Kirche dem Krieg gehuldigt“
Zu: „Förderer wehren sich gegen Kritik Garnisonkirchen-Verein: Aufbauprojekt heilt Mitte“; 23.1.
Stand:
Zu: „Förderer wehren sich gegen Kritik Garnisonkirchen-Verein: Aufbauprojekt heilt Mitte“; 23.1.
Der Wiederaufbau dieser fragwürdigen Kirche wurde niemals nur deshalb abgelehnt, weil es diesen „einen“ Tag von Potsdam gab. Vielmehr war dieser Tag nur der traurige Höhepunkt der militaristischen preußischen Politik seit fast zwei Jahrhunderten – vom Soldatenkönig Wilhelm I. und Friedrich II. bis zum letzten Kaiser Wilhelm II. – mit vielen grausamen Kriegen, die von den Predigern in der Garnisonkirche unterstützt wurde. Mit Verdrehung der Tatsachen und Verachtung für das Leben wurde von der Kanzel dieser Kirche dem Krieg gehuldigt. Beispiele sind die Worte des Predigers Rogge in der Garnisonkirche nach dem Krieg von 1871: „Es sind die Edelsten unseres Volkes, die in fremder Erde ihr Grab gefunden haben.“ Und die Gedanken aus einem Feldgottesdienst am 7. November 1935 in der Garnisonkirche zur Vereidigung von jungen Soldaten auf ihren Oberbefehlshaber Adolf Hitler: „Ich will mich lieber bei lebendigem Leibe in Stücke hauen lassen, als dass ich ein Feigling, ein Verräter und ein ehrloser Mann werde". Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Das ist der alte preußische Geist, der am Ende zu 55 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg führte – und auch zur Zerstörung der Garnisonkirche im Jahre 1945. 1968 wurde nur noch die Ruine der verbrecherischen deutschen Politik weggeräumt. Wegen der Geschichte dieser Kirche und der allgemein schwierigen Situation fehlte damals auch der Wille zum Wiederaufbau.
Der beabsichtigte Wiederaufbau dieses Militärtempels passt in die heutige deutsche Militärpolitik, die 2010 auf einer Tagung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam „Die Bundeswehr als Einsatzarmee“ diskutiert wurde. Für die neuen Kriege braucht man wieder die Unterstützung des Herrn der Heerscharen dort oben, wie es Wilhelm II. bereits im Jahre 1917 sagte, und nach Clausewitz Mut, Vaterlandsliebe und Begeisterung, um sich wieder mal „in Stücke hauen zu lassen“.
Dr. Frank Baier, Friedensspirale Potsdam e.V.
„Demonstration Tag von Potsdam“, 30.1.
Die Szene, die jetzt versucht, gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche Stimmung zu machen und mit dem geraden Weg vom Soldatenkönig und Friedrich II. über Bismarck bis hin zu Hitler argumentiert, hat offenbar nicht mitbekommen, dass sie damit die nationalsozialistische Propaganda von Goebbels übernimmt. Dazu eine andere Überlegung: Weder Rosa Luxemburg noch Karl Liebknecht konnten in der sozialistischen DDR das erstrebenswerte Ziel ihrer Ideen sehen und hätten die DDR, wenn sie in ihr hätten leben müssen, mit Sicherheit abgelehnt. Trotzdem behaupteten die Herrschenden in der DDR, das Vermächtnis von Luxemburg und Liebknecht hätte sich mit der Gründung des Staates DDR und der Herrschaft der SED erfüllt. Das Gleiche machten die Nazis und vereinnahmten das alte Preußen und die preußische Geschichte als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Sie behaupteten, im NS-Staat wären die Ideale Preußens erfüllt. Weder der Soldatenkönig noch Friedrich der Große konnten sich gegen ihre spätere Vereinnahmung wehren.
Wolfram Maede, Potsdam
Trägt die Garnisonkirche die Schuld?
Es ist erstaunlich, welche Bedeutung Menschen Symbolen beimessen. Worin liegt die Schuld der Garnisonkirche? Hätte sie Steine aus ihren Gewölben lösen sollen, um Hitler und den Reichskanzler zu erschlagen? Gut wäre es allemal gewesen, aber dies lag außerhalb der Möglichkeiten. Hätte sie etwas tun können, gegen ihren Missbrauch als Objekt der „braunen“ Propaganda? Wohl eher nicht. Menschen hätten es tun können, sie taten es aber nicht. Also eine direkte Schuld an der Machtübernahme Hitlers ist ihr nicht nachzuweisen, auch wird nicht zu ihren Gunsten strafmildernd anerkannt, dass einige Mutige, aus dem Kreis der Hitler-Attentäter, in ihr für das Gelingen des Attentats beteten. Wir brauchen auch heute noch Symbole. Schließlich müssen wir ja etwas tun, um Schuldgefühle los zu werden. Der Glaube an die Stärke unserer demokratischen Gesellschaft reicht dafür offenbar nicht. Erkennen wir doch endlich die Unschuld der Kirche, erklären sie als gegen ihren Willen missbraucht, und holen sie zurück als Zeugnis früherer Baukunst, wenn es hilft auch als Symbol unserer Stärke gegenüber dem „braunen Unwesen“, und erfreuen uns zukünftig an ihrer architektonischen Schönheit.
B. Rülicke, Potsdam
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: