Lesermeinung: Palais Barberini: Original getreu oder mehr Mut zur zeitgenössischen Architektur?
Palais Barberini ’eins zu eins’ rekonstruieren, 4.3.
Stand:
Palais Barberini ’eins zu eins’ rekonstruieren, 4.3. 2009
Unterschiedlicher konnten die Positionen der beiden Architekten kaum sein. Unter „Kultur“ erläuterte David Chipperfield seinen Ansatz, die Ruine des Neuen Museums in Berlin behutsam mit zeitgenössischen Mitteln zu vervollständigen. Aus Respekt vor dem Original konservierte er den Bestand und fügte verlorene Bauteile als sichtbar neue Elemente hinzu. Im Weiterbauen interpretierte Chipperfield das Werk seines Vorgängers August Stüler und schuf damit eine stimmige Synthese. Im Bezug auf Ort und Bestand für die geforderte Nutzung etwas qualitativ Neues hervorzubringen, das ist Baukultur.
Im Potsdamer Lokalteil dagegen plädierte Ludger Brands für eine „Eins-zu-eins-Rekonstruktion“ des Palais Barberini, einem Gebäude, das seit 1945 vom Erdboden verschwunden ist. Zweifellos hatte das nach italienischem Vorbild errichtete Palais hohe gestalterische Qualitäten und trug wesentlich zur Identität des Alten Marktes bei. Doch von originaler Substanz ist nichts mehr vorhanden. Trotzdem fordert Brands über 60 Jahre nach der Zerstörung die vollständige Rekonstruktion. Rekonstruktion ohne Originalteile ist jedoch kein Wiederaufbau, ist bloße Kopie, ist Fleißarbeit ohne geistige Leistung.
Uns fällt nichts Besseres ein, signalisiert Professor Brands mit seiner Forderung und sendet damit eine fatale Botschaft – nicht zuletzt an seine Studenten. Wie beim Stadtschloss soll eine Nutzung in die historisierende Hülle gezwängt werden, die mit dem ursprünglichen Zweck wenig gemein hat und womöglich ebensolche Deformationen des Baukörpers zur Folge hätte.
Zeitgenössische Architektur hat es schwer in Potsdam, sie wird attackiert und verhindert: in der Lennéstraße, in der Seestraße und auch anstelle des „Haus des Reisens“. Jeder redet mit, Nachbarn blockieren und ziehen vor Gericht, aus Furcht vor Neuem flüchtet man in die Nostalgie. Warum genügt den Potsdamern nicht ihr außerordentlich reicher Schatz an echten historischen Bauten?
Warum soll Verlorenes kopiert und im historischen Stil neu gebaut werden, statt aktuelle Antworten auf aktuelle Bauaufgaben zu finden? Potsdam ist eine lebendige Stadt, die sich auch baulich weiterentwickeln soll, statt zum Freilichtmuseum zu erstarren. Politik und Verwaltung sind gefordert, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Maßstäblichkeit und Qualität der Bebauung gewährleistet und durchgesetzt werden.
Peter Neideck, Potsdam
Vorne historisch, hinten modernistisch
Ich kann die Mahnungen von Professor Brands nachvollziehen. Wenn eine Privatfrau das Palais in seiner zentralen Bedeutung als Monument original getreu zu rekonstruieren bereit ist, sollte die Stadt das mit allen Kräften unterstützen. Grässlich ist die Vorstellung einer Bebauung, wie sie durch die Interessen von Großinvestoren meist intendiert wird: vorne historisch, kleinteilig, hinten dran modernistisch-funktional und großklotzig – ein raumgreifender Wurmfortsatz für Konsum- und Amüsiertempel.
Es wäre zu wünschen, dass die kommunalen Entscheidungsträger sich ihrer städtebaulichen Verantwortung gewachsen zeigen und sich ob des Fassadenblendwerks kein allgemeiner Verblendungszusammenhang ergibt.
Rainer Markworth, Werder/Havel
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